Rachel Cusk – “Lebenswerk”

Cusk ist hierzulande mit ihrer aus den Titeln „Transit“, „Outline“ und „Kudos“ bestehenden Romantriologie bekannt geworden. Anders als in diesen Romanen, in denen die Erzählerin hauptsächlich als Zuhörerin fungiert, ist „Über das Mutterwerden“ radikal subjektiv. Endlich liegt der Urtext von #regretting motherhood auf Deutsch vor.

Als das Buch 2001 in Großbritannien erschien, sah sich Cusk einer Welle von Empörung und Anfeindungen ausgesetzt. Ihr Name, so schreibt Cusk in einem aktualisierten Vorwort der britischen Lebenswerk-Ausgabe von 2007, wurde zum Synonym für „Hass auf Kinder“. Leider fehlt dieses Vorwort, in dem Cusk betont, dass „Lebenswerk“ kein Ratgeber sei, sondern seine Leserinnen zum eigenständigen Denken auffordere, in der deutschen Ausgabe.

Vielleicht hat man geglaubt, nachdem „regretting motherhood“ sich explizit auf Rachel Cusks Buch berufen hat, und diese Diskussion jetzt also öffentlich geführt worden ist, hätten sich solche Klarstellungen erledigt, die Reaktion in den sozialen Medien nach Erscheinen des Buches sprechen eine andere Sprache. Es scheint sich nicht wirklich viel geändert zu haben. Doch dazu später.

Cusks Buch ist kein Ratgeber, es verlangt eigentständiges Denken

In „Lebenswerk. Über das Mutterwerden“, das seltsamerweise als „Roman“ ausgewiesen ist, beschreibt Cusk rückhaltlos aufrichtig die Erfahrungen, die wohl jede Mutter macht, und zieht daraus Schlüsse, die zumindest ich, bislang nicht zu ziehen fähig gewesen bin.

„Als Mutter habe ich mich aus dem Netz der Vergebung durch andere gelöst. Ich verstehe, dass Verantwortung übernehmen genau das bedeutet.“

Aufsehenerregend ist nicht nur die Art und Weise, wie rückhaltlos und ehrlich Cusk die Lebensphase, des plötzlich Mutter seins beschreibt, sondern insbesondere der Stil, in dem sie über diese Erlebnisse schreibt. Wie es ihr gelingt, diese Zeit der teilweise unerträglichen Überforderung des „für jemanden da seins“, das erfordert, dass man sich selbst aufgibt, spannungsreich zu erzählen.

„Ich muss nichts weiter tun als da sein; dieses nichts weiter schließt natürlich alles ein, denn da zu sein bedeutet, nirgendwo anders zu sein und alles andere fallen zu lassen.“

Also vielleicht doch ein Roman. Oder aber der Beweis für die Tatsache, dass zwischen Roman, Biografie und Essay nicht so klare Grenzen herrschen, wie manche von uns glauben und andere glauben machen wollen.

Die Grenzen einer Liebe von der alle erwarten, sie müsse grenzenlos sein

Die Spannung, die Cusk sehr gekonnt aufzubauen versteht, speist sich nicht zuletzt daraus, dass „Lebenswerk“ die Geschichte der Grenzen einer Liebe erzählt und aufzeigt, von der alle, insbesondere die Mutter selbst, erwarten, dass sie grenzenlos sein soll. Dabei arbeitet sie mit eigenen Lektüren, die sich unter der neuen Lebensform, der „Verwandlung in eine Mutter“, ebenfalls gewandelt haben.

„Die Ankunft eines Kindes hat mein Erleben von Literatur und Kultur im Allgemeinen zutiefst verändert, in dem Sinn, dass ich das Konzept künstlerischen Ausdrucks plötzlich verbindlicher und notwendiger fand als je zuvor, viel menschlicher in seinem Bestreben zu erschaffen und zu gestalten.“

Eine Facette der Verwandlung in eine Mutter ist die Veränderung der Kommunikation. Der bedingungslosen Liebe, die die Eltern im besten Falle überschwemmt, steht immer die Schwierigkeit gegenüber, die Bedürfnisse eines Wesens zu ergründen, das über keine Sprache verfügt, und mit dieser Sprachlosigkeit alles bisher Selbstverständliche (wie zum Beispiel nächtlichen Schlaf) in Frage stellt. Ein Wesen, das in einer Welt lebt, zu der die Eltern trotz aller Liebe keinen Zugang haben. Und so wird aus dem Bericht „über das Mutterwerden“ auch ein Buch über Abgründe und Paradoxien, darüber, wie alles, sogar oder gerade die Mutterliebe, zwei Seiten hat, und eben keine Eindeutigkeit, dafür aber eine ungeheure Vielfalt damit umzugehen.

Cusk zeigt und erzählt diese Vielfalt, indem sie zwischen Anekdoten und Zitaten eine kulturelle Analyse der Entmündigung von Müttern durch gesellschaftliche Erwartungen entfaltet.

„[…] Mutterschaft ist eine Karriere in Konformität und ihre Grundausbildung ist die Schwangerschaft.“

In manchen Szenen und Gedanken finde ich mich hundertprozentig wieder, andere Begebenheiten habe ich ganz anders erlebt. Womit Rachel Cusk aber immer ins Schwarze trifft, sind die „universellen Wahrheiten“, die sie aus den subjektiven Erlebnissen ableitet, und das, so nehme ich an, hat sie seinerzeit zu einer der „meistgehassten Schriftstellerinnen“ Großbritanniens gemacht.

Eigenes Erleben prallt auf Erwartungen und trifft dort auf einen nach wie vor wunden Punkt. Weil Mutterglück das Unglück nicht ausschließt. Das zuzugeben macht aus einer Mutter immer noch tendenziell eine „Rabenmutter“.                           

Unverminderte Aktualität des Themas

Das beinahe reflexhafte Wiederaufflammen einer Diskussion, die so bereits 19 Jahre zuvor im englischsprachigen Bereich stattgefunden haben dürfte, ließ sich nach der Veröffentlichung eines Beitrags im Deutschlandfunk auf Facebook verfolgen, wo innerhalb kürzester Zeit Hunderte erregte und sehr viel weniger differenzierte Kommentare eingingen.

Nun könnte man schlussfolgern, dass das „Lebenswerk“ eine Mutter zu werden, derart persönlich ist, dass ebenso viele Meinungen und Gefühlsbeschreibungen existieren wie Mütter, die sich in der intellektuellen Engführung Cusks nicht wiederfinden, und ihr daher widersprechen müssen. Aber das ist nicht der Punkt, denn abgesehen von subjektiven Erlebnissen und persönlichen Anekdoten, trifft Cusk bei ihre Analyse der Problematik stets überpersonell und objektiv ins Schwarze einer Wahrheit, die sich offensichtlich in den fast 20 Jahren, die zwischen dem Erscheinen des Buches und seiner Übersetzung ins Deutsche verstrichen sind, nur sehr wenig geändert hat.

Autor*in: Elke Engelhardt

Schreibt mit nicht nachlassender Begeisterung über Bücher. Ganz selten schreibt sie selbst eins.