Lesung Norbert Scheuer: „Winterbienen“ in der Stadtbibliothek Bielefeld

Norbert Scheuer liest aus seinem Roman
Stilles Beobachten. komplexes Erzählen: Norbert Scheuer, eingeladen von der Literarischen Gesellschaft Ostwestfalen-Lippe, stellte in Bielefeld seinen aktuellen Roman "Winterbienen" vor (Foto: Elke Engelhardt)
Es ist gut gefüllt am 04. März, dem Abend, nachdem die Buchmesse in Leipzig abgesagt wurde. Vor gut 80 Besuchern schwärmt Kai Kauffmann in der Stadtbibliothek Bielefeld für Norbert Scheuers Sprache, den er noch eine ganze Weile nicht selbst zu Wort kommen lassen wird.

Kauffmann stellt Scheuer wortreich als einen Autor vor, der sich für die Stille interessiert, fast alle Protagonisten seiner Romane sind stille Beobachter. Wie genau diese Beschreibung Scheuers Schreiben trifft, wird später im Gespräch deutlich, als Scheuer erzählt, dass er sich bereits in einem frühen Stadium seines schriftstellerischen Werdegangs ganz bewusst für das Beschreiben und gegen reflektierendes Schreiben entschieden habe.

Überhaupt ist der Werdegang zum Schriftsteller bei Norbert Scheuer ein eher ungewöhnlicher. Erst nach einer Lehre zum Elektriker holte er auf Abendschulen die Hochschulreife nach und arbeitete nach unterschiedlichen Studiengängen als Systemprogrammierer bei der Deutschen Telekom.

Nichts davon taugt als Erklärung, warum Tiere eine wesentliche Rolle in Scheuers Romanen spielen.

Die Tagebucheinträge summen zwischen Bedrohung und Beruhigung

Aber zunächst soll es um die Bienen aus Scheuers aktuellem Roman „Winterbienen“ gehen, in dem ein unter Epilepsie leidender, vorzeitig aus dem Schuldienst entlassener Lateinlehrer in den letzten Kriegsjahren Juden über die Grenze schleust. Egidius Arimond, der ambivalente Held des Romans, stammt, wie sich im Laufe des Romans herausstellen wird, aus einer langen Tradition von Bienenzüchtern; erst er und sein Bruder, brechen mit dieser Tradition. Egidius’ jüngerer Bruder dient als heldenhafter Flieger dem nationalsozialistischen Regime und kann seinen Bruder auf diese Weise vor dem Tod bewahren.

Scheuer liest Tagebucheinträge, die aber weniger wie persönliche Reflexionen klingen, sondern eher wie eine aus Erinnerung, Bienen und besorgniserregender Gegenwart zusammengesetztes Summen, einmal beruhigend und ein anderes Mal bedrohlich.

Winterbienen, erfahren wir, haben die Aufgabe, die Larven zu schützen, um so das Überleben ihrer Art zu gewährleisten, und natürlich ist das auch eine Metapher, obwohl Scheuer lieber von Spiegelungen spricht. In seinem Roman habe er zwei Welten nebeneinander gestellt, die des Bienenvolkes, und die des totalitären Regimes des Nationalsozialismus, Welten, die einander nur anhand von Bildern berühren. So stehen unschuldig schöne Naturbeschreibungen und das allgegenwärtige Summen der Bienen neben ständiger Gefahr. Egidius setzt sich ihr zusätzlich zu seiner Krankheit aus, die ihn in den Auges des NS-Regimes zu “unwertem Leben” macht, indem er Juden in Bienenkästen verborgen an die Grenze bringt.

An einem aus mehreren Gründen bedeutsamem Ort in Scheuers hochkomplexem Roman, der Bibliothek, entdeckt Arimond Tagebucheinträge seines Urahns und beginnt eine gefährliche Affäre. Und natürlich ist das alles nicht so banal, wie es sich in dieser Zusammenfassung liest.

Wir müssen über Lockenwickler reden

„Wir müssen noch über Lockenwickler reden“, sagt Scheuer, und erklärt, dass Imker zusätzliche Königinnen züchten, um den Fortbestand des Stocks sicher zu stellen. Als traditionelles Transportmittel dienen dabei Lockenwickler, die auch im Roman eine wichtige Rolle spielen. Vielleicht sind Scheuer Lockenwickler so wichtig, weil man etwas mit ihnen einwickeln kann, weil sie Strukturen verändern. Nicht unerheblich für einen Schriftsteller, der eher zwischen starren und beweglichen Fakten als zwischen Realität und Fiktion unterscheidet.

Winterbienen ist ein Roman, der aus einer Vielzahl von Geschichten besteht, wie Waben fügen sie sich aneinander und ergeben ein kunstvolles, komplexes Ganzes aus Beschreibungen und Spiegelungen. Anregungen zu Vergleichen und Reflexionen, die die Leser*innen jedoch selbst vornehmen müssen.

Autor*in: Elke Engelhardt

Schreibt mit nicht nachlassender Begeisterung über Bücher. Ganz selten schreibt sie selbst eins.