Bye, Bye Babylon

Fernsehserie "Babylon Berlin" und litererische Vorlage unterscheiden sich doch gewaltig, und das ist mehr als nur Geschmacksache. Foto: Ralf Bittner
Fernsehserie "Babylon Berlin" und Volker Kutschers literarische Vorlage unterscheiden sich doch gewaltig, und das ist mehr als nur Geschmackssache. (Foto: Ralf Bittner)


Nun ist sie also Geschichte, die 3. Staffel „Babylon Berlin“ auf dem Bezahlsender Sky. Die ARD als Co-Produzentin der Serie frei nach den Kriminalromanen Volker Kutschers um den Kriminalbeamten Gereon Rath kündigt die Ausstrahlung im Free-TV noch ohne genauen Termin für den Herbst 2020 an.


Schon der Titel verweist auf den Unterschied zwischen Buch und Serienverfilmung. Die Buchreihe stellt die Figur des Gereon Rath ins Zentrum, für das Regietrio Henk Handloegten, Achim von Borries und Tom Tykwer ist die Metropole Berlin als Hure Babylon und mordende Metropole der Star. Während Kutscher, der unter anderem auch Geschichte studierte, in seinen Romanen die Leser mit auf eine Entdeckungsreise durch das Berlin der 1920er- und frühen 1930er-Jahre mit seinen politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen nimmt, präsentiert die Serie das opulente Bild einer Stadt, die in einem ständigen Tanz auf dem Vulkan dahin zu taumeln scheint: Zeit für eine üppig ausgestattete und in Videoclip-Ästhetik gefilmte Tanzszene in einem edlen Nachtclub ist fast immer.

Gezeigt wird ein durch 100 Jahre Abstand verklärtes Berlin-Bild

Reproduziert wird dabei das Bild einer Stadt, die glänzt und strahlt. Während Rath im Buch meist in den Schatten der Metropole unterwegs ist und sich nur selten Entspannung im Nachtleben gönnt, überstrahlen die „Goldenen Zwanziger“ in der Serie die düsteren Seiten. Gereon Rath, der Ermittler tut, was Ermittler eben so tun: ermitteln, erst in der Sitte, später im Morddezernat. Er verstrickt sich durch die Umstände und Ungeschicklichkeiten in ein Netz von Abhängigkeiten, steht Politischem aber seltsam teilnahmslos gegenüber. Das ist vielleicht auch gut so, bejubeln doch die Trotzkisten in der 1. Staffel eine „Vierte Internationale“, zehn Jahre vor deren Gründung. Mit geschichtlicher Genauigkeit glänzt die TV-Serie schon mal nicht.

Machern und Heldinnen ist das politische Verständnis verloren gegangen

Allerdings ist nicht nur den Machern das geschichtliche Wissen abhanden gekommen, um die Serie zu mehr als handwerklich gut gemachter Unterhaltung zu machen. Das gilt auch für Charlotte „Charly“ Ritter, die im Buch ein politisches Verständnis besitzt, das der TV-Serienfigur gründlich ausgeschrieben wurde. Im Buch eher mit einem kleinbürgerlichen Background, bekommt sie im TV einen proletarischen Hintergrund. Im Buch studiert sie Jura und verdient sich ihren Lebensunterhalt als Stenotypistin bei der Polizei, später als Kommissaranwärterin, ist eine echte Person mit konservativ-preußischer Gesinnung, die Kommunisten ablehnt und Nazis hasst.

In der Serie wird sie zur Frau gewordenen Männerphantasie, arbeitet Tag und Nacht, nachts auch als Sexarbeiterin, schmeißt den heimischen Haushalt stets mit einem Lied auf den Lippen und hat noch Zeit, die Nächte in mondänen Ballhäusern durchzufeiern, immer nett gekleidet und hübsch frisiert – eine Frauenfigur, in die das männliche Regisseur-Trio auch noch die widersprüchlichsten Frauenbilder hineinprojiziert. (Etwas mehr biografischen Hintergrund zu Charly liefert Kutscher übrigens nicht in seinen Krimis, sondern im von Kat Menschik wunderbar illustrierten Erzählungsband „Moabit“ – Tipp!) Und – wenn überhaupt – kann Armut wohl nur in Berlin so sexy sein wie in diesem Serien-Berlin.

Polizeiapparat, Nazis, Militär und Presse sind naturgemäß männlich dominiert, entsprechend dürftig fällt die Zahl der Frauenrollen aus (in „Der stumme Tod“ dürfen die aufstrebenden weiblichen Stars des aufkommenden Tonfilms immerhin reihenweise sterben – das ist doch was). Die zweite mehr oder weniger durchgängig auftretende Frauenfigur Greta ist im Buch eine weltgewandte Kosmopolitin mit selbstgewählter Promiskuität, in der Serie eine Art Lieschen vom Lande, die sich von vermeintlichen Kommunisten, die sich später als Nazis zu erkennen geben, zu einem Mord manipulieren lässt.

Aufklärung im Zeichen der Hufeisentheorie?

Nazis gleich Kommunisten? Berlin Babylon wird auch noch zum Lehrfilm über die an Inhaltlosigkeit nicht zu unterbietende Hufeisentheorie und vergibt damit jede Chance, Unterhaltung und Verständnis für Menschen in einer widersprüchlichen Zeit zu verbinden.Stattdessen bekommen die Zuschauer ein Bild dessen, was 2020 über die wilden 1920er Jahre gedacht wird. Auch das ist aufklärerisch, erklärt jedoch nichts über die Zeit vor 100 Jahren, sondern fast ausschließlich über das Jetzt. Zu sehen bekommen die Zuschauer ein Märchen, und diese seltsame Verschiebung weg von der gut recherchierten Milieuschilderung in Kutschers Romanvorlage wird bei der Adaption fürs TV in der Veränderung der Frauenrollen besonders offensichtlich. Eine dem Buch angemessenere Darstellung der beiden Frauen würde Babylon Berlin aber zu einer ganz anderen Serie machen.

Und das kann in der Zeit der Quotenmeter ja niemand wollen.

Autor*in: Ralf Bittner

Ralf steht lieber hinter als vor der Kamera, erkundet seine Welt gern zu Fuß und hat ein Herz für Großartiges in kleinen Locations.