Erklären soll man das nicht

Poesiealbum 353 – Carl-Christian Elze

Vor einigen Tagen lag ganz unverhofft ein Exemplar der Literaturzeitschrift Poesiealbum mit Gedichten von Carl-Christian Elze im Briefkasten. Wie passend für diese Zeit. In diesen seltsamen, aus allen Routinen gefallenen Tagen tut es gut, Gedichte zu lesen. Und noch mehr, Gedichte zu lesen, die verlangen:

zeig uns das leben

hinter der stille

Denn genau das tut Elze in jedem einzelnen, der von Axel Helbig für die 353. Ausgabe des „Poesiealbum“ klug angeordneten Gedichte. Die Gedichte umfassen Elzes Schaffen aus 14 Jahren und stammen aus unterschiedlichen Gedichtbänden, die hier miteinander in einen Dialog treten und auf diese Weise einen Gesamteindruck verschaffen können. Bereichert wird die Ausgabe durch die schönen und stimmigen Illustrationen von Christoph Vieweg.

Die Sammlung beginnt und endet mit einem Gedicht, das den Verlust thematisiert. Es handelt vom Verlust von Gewissheiten und dem Wunsch, möglichst ohne Angst mit dem Verlust umgehen zu lernen. Ein Wunsch für den sich Elzes Gedichte als hervorragende Lehrmeister anbieten. Weil sie zeigen, wie man umso mehr in eine Betrachtung, einen Eindruck versinken kann, wenn man Gewissheiten verliert, und stattdessen die Sinne über die Ränder von Begriffen und Definitionen treten lässt.

Zwischen Zweifel und Hoffnung liegt das Spannungsfeld von Elzes Poesie

In kleinen Klappaltaren entfaltet Elze Fragen ebenso wie die Einsicht, dass es keine Antworten gibt, die unser Bedürfnis nach Gewissheiten stillen könnten. Aus eben dieser Spannung zwischen Zweifel und Hoffnung bezieht Carl-Christian Elze seine Poesie.

Die Abgründe, in die er seine Leser*inen mitnimmt, sind tief, und schön, wenn er mit spielerischer Leichtigkeit ein erneutes Auftauchen (oder sogar Schweben über den Dingen) ermöglicht. Wenn die Phänomene sowohl von vorn als auch von hinten gelesen, nicht nur Sinn ergeben, sondern ganz direkt miteinander in Verbindung gebracht werden, und aus dem Nebel Leben emporsteigt, sich verfestigt und behauptet. Sichtbar werden wir, als in uns selbst gefangene Puppen aus Zeit. Und Elze, der Puppenspieler führt uns an Fäden, die aus Gedichten bestehen.

Mit denen man auf Reisen gehen kann, vom Inneren des Wortes über Amerika und Paris bis in den Zellkern hinein. Wenig später sind wir eingeladen, die unterschiedlichen Ebenen einer Liebesbeziehung zu durchwandern. Gefühlslagen, die sich wie Landschaften ausbreiten. Und immer in Bewegung sind.

Elze gelingt es, die Entstehung der Erde in einem Gedicht als Parabel der Liebe nachzuzeichnen. Überhaupt beeindruckt bei jeden Lesen erneut dieser gleichzeitig größenwahnsinnige und gelingende Versuch, das unfassbar Große mit den kleinsten Partikeln zu verbinden, bis nur noch Staunen bleibt und ein nahezu gerettet sein1

Immer sind diese Gedichte nicht nur schön, sondern verfügen darüber hinaus über eine neue Dimensionen öffnende Kraft, gerade da, wo sie von den Grenzen der Sprache sprechen:

„ein teller suppe

wo nur worte schwimmen

wie lose hände, die nichts greifen können

doch greifen wollen, und in den flachen löffeln beten.“

Zwischen Zweifel und Gottessuche beten Elzes Gedichte das Leben und die Sprache an.

1„Wenn ich staune, auch im Gedicht staune, brauche ich keine Gewißheiten mehr, bin ich nahezu gerettet.“ (Carl-Christian Elze)

Autor*in: Elke Engelhardt

Schreibt mit nicht nachlassender Begeisterung über Bücher. Ganz selten schreibt sie selbst eins.