50 Sätze über 4 Bücher

Bücher öffnen Türen zu anderen Welten (Foto: Pixabay)

Die Abende sind lang, Theater und Kinos geschlossen, Konzerte abgesagt, Parties tabu. Was tut der Kulturmensch, der die Nase voll davon hat, vor dem Bildschirm zu hocken? Richtig, er steckt dieselbe in ein gutes Buch. Wir stellen vier davon vor:

Elke Engelhardt

Allegro Pastell – Leif Randt

Allegro Pastell – der Name ist Programm. Germany´s next lovestory titelte der Verlag. Aber eigentlich geistern eher pastellfarbene Halbtote über die Seiten, die sich vor lauter Achtsamkeit keine Leidenschaften zutrauen. Wen das Wohltemperierte zusammenhält, der muss sich vor unkontrollierbaren Temperaturschwankungen ebenso fürchten, wie er sie insgeheim herbeisehnt. Von dieser Spannung lebt Allegro Pastell. Und wie es Leif Randt dabei gelingt, das Lauwarme auch stilistisch konsequent durchzuhalten, ist nicht nur beeindruckend, sondern wirklich unterhaltsam zu lesen.

Danach – Rachel Cusk

Rachel Cusk dagegen stürzt sich mit ihrem Memoir über das Scheitern ihrer Ehe in ein nahezu unkontrollierbares Gefühlschaos.

Cusk, 1967 in Kanada geboren, und spätestens seit der Romantrilogie Outline, Transit und Kudos international bekannt, übernahm nach der Geburt ihrer Töchter die traditionell männliche Versorgerrolle, während ihr Mann zu Hause blieb, um sich um Kinder und Haushalt zu kümmern. Eine Zeitlang ging das mehr oder weniger gut, aber als es zur Trennung kommt, offenbart sich ein unübersichtliches Geflecht von Widersprüchen, die nur mühsam unter dem Ordnungsprinzip „Ehe“ verborgen, ständig an der Zersetzung dieses Arrangements gearbeitet haben.

Dabei ist „Danach“ nicht nur mehr, sondern auch etwas grundsätzlich anderes als eine Chronik der Trennung. In verstörender Deutlichkeit zeigt Rachel Cusk den Abgrund, der sich zwischen dem Wunsch nach Emanzipation und dem tief empfundenen Satz: „Die Kinder gehören zu mir“ auftut. Ein archaisches, körperlich empfundenes Bild der Weiblichkeit scheint der Emanzipation unüberbrückbar entgegen zu stehen.

Bei Cusk wird aus dieser Erkenntnis weder Anklage noch Streitschrift. Sie hat vielmehr ein spielerisch kluges und subtil vorgehendes Buch über die Suche nach einer neuen Ordnung geschrieben. Für sich selbst. Für das Danach.

Antje Doßmann

Dr. Weiss’ letzter Auftrag – Lars Gustafsson

Als der schwedische Philosoph, Lyriker und Romancier Lars Gustafsson im April 2016 starb, hinterließ er außer einer schmerzlichen Lücke in dieser Welt an die 80 literarische Werke. Und ein letztes Fragment. In diesem Frühjahr, das so reich ist an elementaren Fragen nach dem Wesen des Menschen und seinen Lebensbedingungen, hat Michael Krüger es aus dem Nachlass veröffentlicht. Seitdem steht das im besten Sinne merkwürdige Buch in mehrerer Hinsicht wie eine Brücke im Raum und in der Zeit, die beide möglicherweise mehr Dimensionen haben als wir zu wissen wagen. Und genau darum geht es in “Dr. Weiss’ letzter Auftrag”.

Wer das Gefühl des Schwindels kennt beim bloßen Gedanken an das Universum und keine Angst hat, beim Lesen den sicheren Erdboden unter den Füßen zu verlieren, der wird Gustafssons weltenwandlerischen Protagonisten bang, aber begeistert begleiten auf seiner Suche nach einer mythischen Eisenkrone. Und am Ende des surrealen Trips durch Raum und Zeit belohnt werden mit tief nachdenklich stimmenden Welteinsichten, die den großen Lyriker erkennen lassen, der Lars Gustafsson auch in seinen Romanen gewesen ist.

Die langen Abende – Elizabeth Strout

Wer es hingegen vorzieht, beim Lesen auf dem Teppich zu bleiben, ist mit dem neuen Roman von Elizabeth Strout gut beraten. Denn weiter von Gustafssons geheimnisvollem Zeitreisenden entfernt als Strouts pensionierte Lehrerin Olive Kitteridge lässt sich eine literarische Figur kaum denken. Und doch kommen beide an einem bestimmten Punkt ihres Lebens zu einer ähnlichen Erkenntnis: “Wer bin ich?”, fragt sich Weiss und fährt fort: “Aufrichtig gesagt: Ich weiß es nicht. Ich weiß es überhaupt nicht.” Und Elizabeth Strout lässt Olive auf der letzten Romanseite sinnieren: “Ich könnte nicht sagen, wer ich gewesen bin. Ganz ehrlich, ich begreife gar nichts.”

Doch abgesehen von dieser auch in sprachlicher Hinsicht erstaunlichen Analogie sind “Die langen Abende” tatsächlich aus ganz anderem Holz als Gustafssons Fragment. Der Roman, ein Prisma aus verschiedenen, feingeschliffenen Familiengeschichten, spielt in Maine, genauer gesagt der kleinen Küstenstadt Crosby. Sowohl dieser Ort als auch viele der handelnden Figuren – allen voran die bärbeißige Olive Kitteridge – sind Strout-Fans seit “Mit Blick aufs Meer” (2009) bekannt. Nun sind die dort schon immer Lebenden oder später Hinzugezogenen alt geworden, übergewichtig, blasenschwach, führen Ehen, die lang sind und selten glücklich, verlieren Gefährten und finden noch einmal neue, sind sich der Leichen in ihrem Keller bewusst und wagen in seltenen mutigen Momenten sogar einmal einen Blick darauf. Solange die Kinder der anderen noch missratener sind als die eigenen, ist ihre Welt halbwegs in Ordnung. Das alles liest sich locker weg. Ohne Frage: Elizabeth Strout versteht ihr Handwerk. Inzwischen vielleicht ein bisschen zu gut.

Autor*in: Elke Engelhardt

Schreibt mit nicht nachlassender Begeisterung über Bücher. Ganz selten schreibt sie selbst eins.