Neid, Leid und Eitelkeit

Elle veut d'amour, er will seine Ruh; Alicia Dawidowski als Andrea und Peter Krudup von Behren als Boris in Yasmina Rezas entlarvender Farce "Bella Figura" Foto: Antje Doßmann

Gute Nachrichten für Yasmina Reza-Fans: Das Bielefelder Mobile Theater spielt ihr “Bella Figura” und sorgt dadurch für viel böses Vergnügen und gute Unterhaltung. Schon mehr als einmal hat es bewiesen, dass ihm die Pariser Starautorin liegt, und auch mit der aktuellen Produktion trifft es den Nagel ziemlich genau auf den Kopf. “Wir lieben die hintergründigen Dialoge in Rezas Stücken”, sagt Karin Stoll im Namen des 1978 gegründeten freien Theaters.

Nach “Kunst” und “Der Gott des Gemetzels”, den beiden Werken, mit denen Yasmina Reza berühmt wurde, geht es bei “Bella Figura” diesmal um Paarbeziehungen, Moral und Scheinmoral einer Ehe und um die Absurdität der Wahrung des schönen Scheins. Schlüsselszeneartig und mit geschultem Auge demaskiert das Stück die fragilen Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft. Die absurde Theatralik, die sich dabei entfaltet, inspiriert das Ensemble unter der Regie von Albrecht Stoll erneut zu boshaft-pointiertem, stellenweise aber auch berührendem Spiel. Bei der mit großem Applaus entgegengenommenen Premiere am 05.02. konnte man sich davon überzeugen.

“Bella Figura” ist Rezas jüngstes “richtiges” Schauspiel, sieht man einmal von ihrem Monolog Anne-Marie die Schönheit ab. Die zwischen Beziehungsdrama und Boulevardtheater schwankende Farce war eine Arbeit, die Thomas Ostermeier 2015 gezielt für die Berliner Schaubühne bei der Autorin in Auftrag gegeben hatte, und in einer der fünf Hauptrollen ließ Nina Hoss damals ihren ganzen inneren Glanz erstrahlen. Warum das neoliberalistische Seitensprungdramolett trotz der prominenten Besetzung an der Schaubühne nicht richtig zünden konnte, lag zum Teil mit Sicherheit an der vergleichsweise wenig komplexen Struktur dieses Reza-Stücks. Für eine kleine Bühne wie die des Mobilen Theaters in der Feilenstraße erweist sich jedoch gerade seine splitterhafte, umweglose Dynamik als Glücksfall, wie sich bei der Premiere zeigte.

Es geht wie immer in den Stücken der französischen Gesellschaftspathologin um die Entlarvung bürgerlicher Maskeraden. Was verbirgt sich hinter höflichen Mienen, oberflächlichen Tischgesprächen? Wann ändern sich Spielregeln? Was ist Wahrheit, was ist Lüge, und wie funktionieren Machtverhältnisse innerhalb sozialer Beziehungen?

Wenn auf der Bühne Fassaden bröckeln, sich Risse auftun in der dünnen Decke der Zivilisation, ist Yasmina Reza in ihrem Element, dann wird sie selbst zur subtilen Göttin des Gemetzels. Würde sie als solche allerdings nur vernichten, fehlte ihr das, was ihre Alleinstellung ausmacht: Der Instinkt für nähnadelfeine Stiche ins Gemüt, ein touché an unerwarteter Stelle, das buchstäbliche Steckenbleiben des Lachens im Halse. Und dann diese kleinen Stillen, in denen sich kurz etwas verdichtet, was überhaupt nicht mehr komisch ist. Schmerz, Vergänglichkeit, Mutlosigkeit, tieftraurige Unbehaustheit, Leere, Angst, Verzweiflung… Kurz: der seelische Allgemeinzustand des gegenwärtigen Menschen; er hat etwas mit Situationsbewusstsein zu tun.

All das klingt auch in der “Bella Figura”-Inszenierung des Mobilen Theaters an. Besonders im großartigen, zwischen Frech- und Kaputtheit changierenden Spiel Alicia Dawidowskis, die Rezas frustrierter Bühnenfigur Andrea überzeugend Leben einhaucht. Aber auch Peter Krudup von Behren in der Rolle des scheinbar erfolgreichen mittelständischen Unternehmers Boris nimmt man die Totalüberforderung mit den Bedürfnissen seiner seit Jahren verheimlichten Geliebten sofort ab. Durch einen dummen Zufall fliegt ihre Affäre vor der besten Freundin der Ehefrau, deren Lebensgefährten und dessen frühdementieller Mutter auf. Ulrike Kleinehagenbrock, Harald Kleine Kracht und Farah Elouahabi spielen das etwas verhuschte Trio fulminant, und bis Alicia Dawidowski am Ende einen Satz sagen wird, der nicht typisch ist für die mit Vorliebe Klartext redende Bühnenautorin, gibt es einiges zu lachen und zu kichern über die sich abwechselnd windenden und selber zustechenden Maulheldinnen und Helden dieses Stückes. Dessen Besuch unbedingt zu empfehlen ist.

Und hier kommt – als Denkaufgabe für zuhause, wie sie möglicherweise auch Yasmina Reza beim Schreiben von “Bella Figura” im Sinn gehabt hat – der Satz, den sie die pharmazeutische Assistentin und alleinerziehende Mutter Andrea sagen lässt zum Schluss: “Man bricht mit seinem kleinen Bündel auf, um die Welt zu erobern. Man bildet sich ein, die Armee rücke vor, aber man verkümmert an Ort und Stelle.” Aber vielleicht wollte sie damit auch nur die Sinnlosigkeit raunender, scheinbar bedeutender Worte aufs Korn nehmen. Zuzutrauen wäre ihr das allemal.

Weitere Vorstellungen: 18./19.02., 25./26.02., 04./05.03., 11./12.03., jeweils um 20 Uhr.

Ort: Mobiles Theater, Feilenstraße 4

Kartentelefon: 0521/122170

oder unter www.Mobiles-Theater-Bielefeld.de

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.