Souterrain 1_20 – Musik unter Augenhöhe

Bielefeld for Future im Ostblock, Kulturhaus Bielefeld

Die Musikbranche schert sich selten um das Gemüse der Saison. Da heißt der Januar in Sachen Veröffentlichungen saure-Gurken-Zeit, obwohl die Leute, die sich damit auskennen, wohl kaum um diese Jahreszeit losziehen, um die grünen Prengel zu ernten. Nun ja, der Effekt bleibt der gleiche. Kaum Platten erscheinen, und man fragt sich seit Jahren, warum die sogenannten „Indies“ nicht die Chance ergreifen und ihre Themen im Januar auf den Markt bringen. Wenn die Majors japsend vom Weihnachtsgeschäft im Koma liegen und jedes Magazin mit Kusshand den Newcomern von DIY-Records breiten Raum geben würde. Nun denn, hier ein paar Pretiosen, zuletzt liegengeblieben oder aus der ganz nahen Zukunft:

Pleasant Grove

Wir kennen zig Bands aus dem Kaff Louisville/Kentucky. Aber im Ernst, kennt irgendjemand eine Band aus der Metropole Dallas/Texas? Nein? Hier ist eine, eine sehr gute noch dazu. Die Jungs von Pleasant Grove sind alle Anfang 20, aber sie spielen ihren SloMo-Folkcountrypoprock so ausgebufft und ausgeschlafen wie alte Präriehasen. In Zeitlupe setzen sie auf ihrem selbstbetitelten Debüt (Glitterhouse/TIS/Eastwest) mit Bedacht, man darf ruhig auch „lethargisch“ sagen, (Tranquilizer?) die Töne wie einst Souled American, und doch klingt das zuweilen wie Glamrock mit akustischer Gitarre (Fate Uninvited). Bowie zur „Hunky Dory“-Phase etwa. Tolle Kammermusik, tolle Songs sowieso, mit gelegentlich überraschend harschen Ausbrüchen der Trompeten von Jericho.

Swell hingegen sind schon lange dabei und so ziemlich die letzten Überlebenden des San Francisco-Folkhypes. Vielleicht, weil sie so wirklich gar nichts damit zu tun hatten. Die 7-Track-EP Feed (Beggars Banquet/Connected) liefert etwas Futter für die Fans, um die Wartezeit auf das im kommenden Frühjahr nach 3-jähriger Pause erscheinende neue Album zu verkürzen. Gedrosseltes Tempo auch hier, in psychedelisch schimmernden kleinen Songs, in sich gekehrt schrammeln die Gitarrenlinien – hier verzerrt, dort akustisch – wie ein Mantra um sich selbst, melancholische Wintermusik mit dicken Handschuhen, auch wenn sie Creedence Clearwater Revivals altem Hit Someday Never Comes ein gelinde optimistischeres Someday Always Comes entgegensetzten. Wobei immer noch offen bleibt, was einen an jenem Tag erwartet. Swell sind da sehr vorsichtig.

Aimee Mann geht den steinigen Weg. Beim Major-Interscope unter Vertrag wollte sie sich nicht verbiegen lassen und ihr drittes Album auf Mainstream bügeln. Kurzerhand kaufte sie sich die Rechte an Bachelor No. 2 zurück und veröffentlicht es nun in Deutschland (in den USA ist die Platte bereits eine Weile draußen) auf eigenem Label, passenderweise „SuperEgo“ (via V2) getauft. Ein genialer Schachzug, weil sie just dank ihres supererfolgreichen Titelsongs zum Kinoknüller „Magnolia“ die Sonnenseiten des Business erlebt und nun das Gros der Meriten bei der Künstlerin bleibt. Und kaum jemand hat diese Meriten so verdient wie die lange verkannte Frau Mann (höhö). Bachelor No 2 bietet eine 13-teilige Sammlung wunderschöner ungeschliffener Popsongs einer großen Songschreiberin und Sängerin. Die genau richtige Mischung aus den Koordinaten Joni Mitchell, Sheryl Crow, Alanis Morrissette. Intelligenz und Gefühl auf höchstem Niveau.

Fonky, Fonky now. Rose Ann Dimalanta, kurz Rad., auch eine starke Frau mit ebenso starker Stimme, liefert mit Make Every Second Count (7Bridges/PIAS/Connected) ein Werk, das im Titeltrack mit gepfefferten Bläsern schwitzefunkt wie Hölle, aber genau so bezaubernde Momente lasziver Latino-Schubbelerotik wie gelegentlich etwas akademisch konstruierten Cocktailglas-Schwenker Jazz bietet. Letzteres liegt vielleicht an den ohne Zweifel hochkarätigen Musikern, die ihr Handwerk im Sinne von Handwerkern vielleicht etwas zu gut verstehen. Is aber nich so schlimm, gegen Rad.s warmen Soul können sie nicht viel kaputt machen.

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