Gefall(sehn)sucht und Selbstverlust

In der Virtualität dreht sich nur scheinbar alles um einen selbst: Agnetha Jaunich (vorne), Alina Tinnefeld und Florian Wessels in ihrer aktuellen Produktion "Identität - ein performatives Selfie"" Foto: Antje Doßmann

Das Feedback Kollektiv präsentierte im Nr.z.Pl. nach “TRANSdigital” seine neue Produktion “Identität – ein performatives Selfie”. Die multimediale Collage unterstrich den Anspruch der interdisziplinären Initiative auf künstlerisch-kritische Zeitgenossenschaft. Denn in ihrer auf starke Sinneseindrücke, symbolische Tanz- und Spielszenen, aber auch gedankliche Schärfe setzenden Performance hielten Agnetha Jaunich, Alina Tinnefeld, Florian Wessels und Juri Beier einer zunehmend neurotisch auf zustimmende Außenwahrnehmung konditionierten Gesellschaft einen schmerzhaften Spiegel vor. 

Was ist Identität? Die aktuelle Produktion des Feedback Kollektivs “Identität – ein performatives Selfie” bot mehrere explizite Antworten auf die schwierig zu beantwortende Frage an. “Eine Sprechblase, die um so größer wird, je mehr sich daran beteiligen”, lautete eine von ihnen. “Ein Käfer, den jeder Mensch in einer Schachtel mit sich herumträgt”, eine andere. Vor allem ist Identität ein Begriff im Wandel. “Echtheit”, was früher mit ihm verbunden wurde, erscheint immer häufiger abgelöst durch “Scheinhaftigkeit”.

Im Grunde eine traurige, vor allem alarmierende Entwicklung, die sich die starke Performance nicht scheute, konsequent herauszuarbeiten. Kann doch, wer sich selbst  ausschließlich im Auge anderer bespiegelt und sich im hohen Maße von fremder Beurteilung abhängig macht, kaum eine eigene Persönlichkeit ausbilden mit all den nicht perfekten, auch nicht immer strahlend schönen Aspekten, die zur individuellen Stärke dazugehören. Im schlimmsten Fall führt die Verkümmerung des wahren Ichs zu einer so tiefen inneren Leere, dass daraus die Unfähigkeit erwächst,  mit sich selbst allein zu sein.

Selbstbespiegelung unter Fremdbeobachtung

Das Feedback-Ensemble erzählte von dieser massiven Verunsicherung in einer losen Szenenfolge, durch die sich das Grundthema der Selbstbespiegelung unter Fremdbeobachtung als roter Faden zog. Immer wieder griff das Trio Jaunich-Tinnefeld-Wessels auf der Bühne zum Smartphone, um sich in ihren Rollen als drei Menschen unserer Zeit posend und postend der eigenen Existenz zu vergewissern. Ein zunehmend verzweifelter Versuch, die sich anbahnende Identitätskrise zu überwinden. Am Ende konnten jedoch weder die schönen Masken noch die vielen Likes aus dem Publikum den Kollaps ihrer Figuren verhindern.

Zu der mal hämmernden, mal sanften Tonspur, die Juri Beier unter die Performance gelegt hatte sowie den auf drei Stellwände projizierten Licht- und Videoinstallationen fuhren die drei in sinnbildhaften Tanzsequenzen auf unterschiedliche Weise aus ihrer angelegten Nylonhaut. Schauspielerin Alina Tinnefeld in der Rolle einer nervtötend Selbstunsicheren, mehr noch: Ichlosen gelang die ersehnte  Symbiose mit der von ihr maßlos bewunderten Person, die Tänzerin und Performerin Agnetha Jaunich sich erst sträubend, dann aufgebend verkörperte. Während Florian Wessels in seiner Rolle des zwar ebenfalls eitlen, aber zur Analyse und Reflexion fähigen Grüblers und Fragestellers in einem Anfall von komischem und sehr gesundem Zorn erst das stellvertretend für das Heer der Follower stehende Publikum beschimpfte, dann schlicht von der Bühne stapfte, wie es auch jedem von uns jederzeit möglich ist, die virtuelle Arena zu verlassen und das Smartphone abzuschalten. Nur dass wir diese Freiheit zunehmend weniger nutzen.

Hilflose Maskeraden: Alina Tinnefeld, Agnetha Jaunich und Florian Wessels perfomaten im Nr.z.Pl. die Schrecken des Identitätsverlusts Foto: Antje Doßmann

Das Feedback Kollektiv zeigte eindrücklich und mit ganz einfachen “echten”  Mitteln – die weißen Masken, die fleischfarbenen Ganzkörper-Nylons –  und sehr raffiniert eingesetzter Videokunst den freien Spielraum, der sich denen öffnet, die den Mut haben, die Daumen-Buttons  zur Seite zu schieben und von der Oberfläche zu verschwinden, um wieder an die Wirklichkeit zu gelangen: als selbstbewusste Individuen.     

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.