Die Kleine Presseschau

Schwer, den Überblick zu behalten: Zeitschriften werden en masse gedruckt.

Aus deutschen Zeitschriften des kommenden Monats:
Klimawechsel: Europas Winter werden länger.
Fotografie: deutscher Kamerahersteller triumphiert im Namensrechtsstreit mit der Nikon-Corporation.
Verlagswesen: Bertelsmann zahlt Autoren mit mindestens drei hausinternen Veröffentlichungen eine Rente.

Derzeit kann man bequem die Zeit aufbringen, tatsächlich einmal einen tieferen Blick in die Printprodukte zu werfen, die einem ins Haus flattern oder vom Zeitschriftenregal aus anbrüllen.
Wir haben eine Vorauswahl der heißesten Themen und Entwicklungen getroffen und wünschen unseren Lesern einen froh und bei bester Gesundheit verlebten ersten April.

Dr. Hans von Rudloff (1970), wissenschaftlicher Beirat des “hobby”-Artikels: “Die günstigste Klimaperiode liegt hinter uns”

Damit könnten wir die Sache abschließen, doch in Zeiten konstanter Belästigung durch gefälschte Nachrichten und Clickbaiting ist ein wenig Aufklärung nie fehl am Platz: diese Schlagzeilen haben es tatsächlich in den Druck geschafft.
Allerdings trug sich dieses im April 1970 zu, also vor genau 50 Jahren.

Die “hobby”, Ausgabe 7, 1 – 4 – 1970 berichtete in einem fünfseitigen Artikel über Klimaaussichten der nahen Zukunft in der Zwischeneiszeit, in der wir uns befinden (von den Entwicklungen der nächsten 50 bis 250 Jahre ist einmal die Rede). Der Autor verhehlt nicht, dass die Betrachtung unter dem Eindruck des harten und langen Winters 1969/70 steht (Berlin befand sich 123 Tage ununterbrochen unter geschlossener Schneedecke – zum Vergleich: im “Schneechaos” des Jahres 2010 waren es etwa 36 Tage. In Hamburg wurde erst am 15. April, nach 145 Tagen, wieder ein Tagesmaximum von 10° C erreicht, Red.). Die Statistik der Wetterdaten hatte in nördlichen Breiten seit 1954 eine stetige Abkühlung verzeichnet. Dies wurde unter anderem in Relation gesetzt zu einer verminderten Sonnenaktivität (“Sonnenflecken”; 1957 markierte hier ein Maximum)

Unsere Städte sind Kälteschluchten!

Hinsichtlich einer Beeinflussung des Klimas durch menschliche Aktivitäten kommt der Artikel zu ganz anderen Schlussfolgerungen als Forscher heutzutage: Verantwortlich gemacht für eine Abkühlung wurde hauptsächlich die Luftverschmutzung durch Abgase, welche die einfallende Sonnenstrahlung behinderte. Ein “zwar phantastisch klingendes, in der Notwendigkeit jedoch zwingendes, weltweites Fazit” zieht der Autor aus Aussagen der damals verfügbaren Klimatologen. Ein Punkt ist die “Umstellung der Energieproduktion von Kohle auf abgasärmere Energieträger, die keine Kondensationskerne erzeugen”, ein anderer bemerkenswerter der “‘reflektierende(r) Städtebau’ , das heißt: Städte müssen modernisiert und dezentralisiert werden, […] keine Kälteschluchten, wie sie heute in New York, Chicago, London, Paris, Berlin und anderen Millionenstädten bestehen.” Gekonnt vage schließt der Artikel “Meteorologen meinen: Die Menschheit hat einen Großteil der Mittel gegen eine Erdabkühlung selbst in der Hand. Wissenschaftliche Prognosen, die auf eine neue Erdeiszeit deuten, haben schon oft aufschrecken lassen. Und die Daten der Erdgeschichte scheinen den ‘Wetterfröschen’ überdies noch recht zu geben!”

In der Aprilausgabe des Foto-Magazins wurde noch einmal auf eine Entwicklung hingewiesen, die heutzutage Kamerasammler vor Rätsel stellt. Apparate, die der legendären Nikon F täuschend ähnlich sehen und auch alle Funktionen und Verarbeitungsmerkmale zeigen, weisen einen falschen Schriftzug auf: Nikkor steht auf dem Prismengehäuse.
Tatsächlich mussten die Kameras des japanischen Profi-Sortimenters in Deutschland in den späten 1960er Jahren eine Zeitlang umbenannt werden. Eine zu große Ähnlichkeit mit der eingetragenen Marke “Ikon” der Zeiss-Werke war höchstrichterlich bestätigt worden. (Die Notiz vermerkte in Wirklichkeit die Aufhebung dieser Verordnung. Dies hätte hier allerdings wohl kaum Nachrichten-Appetenz erzeugt.) Ohnehin konnte man in den folgenden Jahren beobachten, wie sich die internationalen Machtverhältnisse in der optischen Industrie rapide umkehrten.

Im “Spiegel”, Ausgabe 14, wirft Klaus Wagenbach unter dem Titel “Schickt Eure Manuskripte an Bertelsmann” einen satirischen Blick auf die von Reinhard Mohn vorgestellte Autorenbindungsstrategie des Gütersloher Unternehmens: “… man muss das ein faires Angebot nennen: Alle deutschen Lyriker brauchen nur je drei Bände bei Bertelsmann zu publizieren – 600 bis 800 Käufer finden sich dafür bestimmt –, und schon kriegen die eine Rente. Falls es nicht reicht, schreiben sie noch ein Kochbuch.l […] Alle deutschen Prosaschriftsteller veröffentlichen schnell drei kleine Erzählungsbände bei Bertelsmann, und bumms kommt der Rentenbescheid. Falls es nicht reicht, schreiben sie schnell noch ein paar Krimis.
Deutsche Autoren! Schickt eure Manuskripte an Bertelsmann! Aber schnell! Sonst kommt vielleicht schon in wenigen Wochen eine Zusatzbestimmung zum Bertelsmann-Rentenwerk, dergestalt, dass es nur gilt für a) Verfasser gängiger Romane und b) Verfasser von Kochbüchern, Reiseführern und Krimis.”
…was aus den Berentungsplänen wurde, kann wohl nicht mehr recherchiert werden, ohne Firmenarchive zu plündern.

Echo: So kurios es scheint, eher anekdotisch geprägte Betrachtungen und Visionen von Klimaveränderungen wie im obigen Bericht werden vereinzelt von Verfechtern einer Negierung der aktuellen Erkenntnisse der Klimaforschung für ihre Zwecke herangezogen. Wie eine Arbeit des im hobby-Artikel als wissenschaftlicher Beirat genannten Dr. Hans von Rudloff von 1967. (von dem der Verfasser des Beitrages https://kaltesonne.de/solares-paradoxon-deutschlands-teil-ii-das-klimapendel-schlagt-zuruck/ ansonsten nicht einmal mehr ein Foto auftreiben konnte. Dafür hätten wir wohl eine Quelle aufgetan!)

Rainer Schmidt

Autor*in: Rainer Schmidt

"Wenn man sich schon Illusionen macht, dann aber auch richtig. Es muss stimmen, wenns auch nur von kurzer Dauer ist." – Django