Bei uns ist das so

Eigentlich wollte ich über die Premiere von „Bei uns ist das so“ berichten. Eine der unzähligen Veranstaltungen, die vom Corona Virus vereitelt wurden. Stattdessen hat mir Harald Otto Schmid ein wenig erzählt, was die Zwangsschließung für das AlarmTheater bedeutet und welche Chancen in jeder noch so unwillkommenen Krise liegen können.

“Bei uns ist das so”, war der Titel der Tanz-Performance, die am 20. März Premiere gehabt hätte. Aber dann kam alles anders. Nichts passt mehr. Außer diesem Titel, der jetzt als Überschrift dient für einen Bericht darüber, wie das AlarmTheater die Zeit des Shutdown erlebt.

Seit 1993 ist das von Dietlind Budde und Harald Otto Schmid betriebene AlarmTheater auf herausragende Weise ein Ort der Begegnung und des Dialogs. Ein Dialog, der sich angesichts der Krise neue Räume suchen muss, denn die Tür des Theaters bleibt bis mindestens Ende April geschlossen. In einem Gespräch, das ich per Email mit Harald Otto Schmid geführt habe, verweist der Leiter des AlarmTheaters auf „die Aufgabe als Künstler*in bei einer Krise immer beide Seiten in der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit zu haben: Also Krise als Gefahr und Krise als Gelegenheit Potenziale bei sich selbst zu suchen und auszulösen, um damit auf seine Mitmenschen zuzugehen und in Dialog zu treten.“ Dabei befindet sich das AlarmTheater stellvertretend für zahlreiche freie Kultureinrichtungen „fortlaufend in einem Prozess der Wandlung zwischen Aktion und Reaktion“ mit dem Ziel, eine Strategie zu entwickeln, in der alle Äußerungen einen Platz finden.

Existenzbedrohung trotz kulanter Förderer

Aktuell mussten eine Premiere und sechs weitere Vorstellungen abgesagt werden. Darüber hinaus fallen fünf Theaterprojekte aus, nicht stattfindende Kurse, Seminare und eine abgesagte Hochzeitsfeier führen zu Mietausfällen. Auf dieser Grundlage entstanden innerhalb kurzer Zeit erhebliche Einnahmeverluste. Mitarbeiter mussten in Kurzarbeit oder in den Urlaub geschickt werden. Glücklicherweise sind die Kooperationspartner und Förderer kulant und bewerten abgebrochene oder ausgefallene Projekte als durchgeführt, sofern alternative Präsentations- und Arbeitsformen gefunden werden. Trotzdem verursachen die fehlenden Einnahmen natürlich gefährliche Schieflagen, auch für die indirekt Beteiligten, wie Technikdienstleister und Gastronomie.

Plakat des AlarmTheaters als Einladung an alle
Kontaktverbot erfordert Perspektivwechsel

Davon abgesehen fehlt die Begegnung, der Kontakt, die Zusammenarbeit der Ensemblemitarbeiter. Dazu schildert Regisseurin Anna Zimmermann die Situation kurz nach der Absage der finalen Proben und der Premiere von „Bei uns ist das so“, als sie „all diese Menschen, die ich miteinander verstrickt habe“ nach Hause schicken muss. Die Ohnmacht ist zunächst groß, doch schon einen Tag später rufen einzelne Akteur*innen an: „Sie möchten die Choreographien weiter üben. Möchten den Szenenablauf noch einmal wissen. Möchten Videoaufnahmen geschickt bekommen.“ Am Tag der eigentlichen Premiere, trifft Zimmermann einzelne Ensemblemitglieder im Wald. Die Szene, die für die Bühne geplant war, wird in einen anderen Kontext gebracht, die Perspektive gewechselt. „Wir lassen den Text weg. Dafür fügen wir Landschaft hinzu.“ Anna Zimmermann beginnt Aufgaben zu verteilen, für das Bühnenbild entwickelte Zeichnungen sollen in kleinen Animationsfilmen in neuen Welten auftauchen, die Schauspieler sollen sich vor Plakaten des Stückes fotografieren, sie hält sie an, Zeichnungen zu machen, zu kleben, zu malen und zu notieren, was ihnen durch den Kopf geht. Der Tanz muss jetzt eben in Einzelszenen an unterschiedlichen Orten stattfinden. Die Einzelvideos sollen dann so zusammengeschnitten werden, dass die Masse der Gruppenkraft erneut sichtbar wird. „Eine Gruppenchoreografie, die in Isolation einzeln performt wird, wird wieder zu einer Gruppenchoreografie in einer an die Situation angepassten Form, verbreitet durch die sozialen Medien.“ Also eine direkte und sehr kreative Reaktion (und Transformation) der unliebsamen Situation.

Neue Räume öffnen und auch zur Rückbesinnung nutzen

Der dennoch wie ein Damoklesschwert über allem schwebenden Gefahr existentieller Bedrohung setzt das Ensemble des AlarmTheaters seine gerade in Krisenlagen nicht versiegende Kreativität entgegen. Schmid betont jedoch auch die Chance, sich in dem zu besinnen, was man tut und die Frage nach dem eigenen Warum zu stellen. Die Bewegung wird anders, aber sie erlahmt nicht, sucht sich vielmehr neue Wege und schafft neue Räume.

Dazu bietet das AlarmTheater aktuell eine Anregung für alle, sich Gedanken über das Wesen des “Mensch-Seins” zu machen. Willkommen sind Kunstwerke und Texte aller Art, die ein Online-Atelier entstehen lassen. Hier sollen die vielfältigen Möglichkeiten ausgestellt werden, dem durch soziale Beschränkungen und wirtschaftliche Ängste auf die Probe gestellten Alltag einen neuen Sinn zu verleihen und Menschen jenseits des erforderlichen “social distancing” zusammen zu bringen.

Diesem Ideal, das den Ängsten Hoffnung entgegensetzt und alle einlädt, wünscht man viele Nachahmer, in und nach der Krise, auf allen Ebenen.

Autor*in: Elke Engelhardt

Schreibt mit nicht nachlassender Begeisterung über Bücher. Ganz selten schreibt sie selbst eins.