Woche vier

Früchte der Krise: Durch Manfred Pomorins Kameraeinstellungen gewinnt Willem Schulz' "Auferstehen"-Performance in diesem Jahr eine zusätzliche künstlerische Qualität. Foto: Rainer Schmidt (Ausschnitt aus der Aufzeichnung in der Capella Hospitalis am 20./21.3.2020)

Die Musik- und Kunstszene trotzt Corona – was fällt ihr ein? Willem Schulz goes Vimeo, die Stadt Gütersloh träumt schon mal von Jazz im Mai, in der Galerie GUM werden künstlerische Community-Masken zum Kauf angeboten, die “Raumstation” fährt auf Sicht, und ein ostwestfälisches Kreativtrio fordert zum Toilettenpapier-Opfer auf.

Es tut sich was in der Musik- und Kunstszene der Region. Der erste Schock und die schmerzhafte Enttäuschung über auf Eis gelegte, oft über Monate geplante Projekte haben sich gelegt. Und wenngleich existenzielle Sorgen bei den meisten freischaffenden Künstler*innen  nicht vom Tisch sind, wurden sie in vielen Fällen durch die bis zum 1. April unbürokratisch gewährleisteten staatlichen Soforthilfen zumindest gelindert. Das alles kostete Energie, doch langsam und in neuer Gestalt entstehen auch wieder kreative Einzelaktionen, von denen im Folgenden eine kleine Auswahl vorgestellt werden soll.

Willem Schulz ruft den Frühling

Freunde der Neuen Musik mit Offenheit für spirituelle Rituale wissen:  Wenn Willem Schulz sich in sein rotes Festgewand hüllt und in der Bielefelder Capella Hospitalis zur traditionellen Performance “Auferstehen” lädt, ist der Lenz  nicht mehr weit. Dann “ruft” der Cellist, Komponist und Klangkünstler den von Mensch und Natur gleichermaßen ersehnten Frühling wieder mit großer musikalischer Kraft und seelischer Hingabe. Dann schreitet er wieder  – das Instrument mal wie eine Wünschelrute, mal wie ein Weihrauchgefäß einsetzend – durch den Innenraum und die unmittelbare Umgebung der Capella, nimmt das Rauschen des Straßenverkehrs ebenso auf wie den Hall des angrenzenden Parkhauses. Und dann sind am Ende, wenn er sich mit dem Cello wie ein Derwisch um die eigene Achse gedreht und ein jubelndes “Ja!” ausgestoßen hat, alle Teilnehmenden der meditativen Frühlingserweckung wieder ganz wach für die neue Jahreszeit.

Ohne Publikum, aber begleitet von einem Kameramann und einem Tontechniker, hat Schulz in diesem Jahr die Nacht vom 20. auf den 21. März dazu genutzt, 15 kurze Sequenzen in der Capella aufzunehmen. Nicht nur Teile des Frühlingsrituals, sondern auch andere Kompositionen und Improvisationen. Besonders der erste kurze Film, der den Künstler beim Hereinschreiten durch das weit geöffnete Tor der Capella Hospitalis zeigt, überzeugt durch Ton (Markus Beuter) und die mit Überblendungen arbeitende Kameraführung Manfred Pomorins. Anschauen lohnt sich!      

vimeo.com/401699165

In Gütersloh träumt man dagegen von Jazz im Mai. Eher kurios die Bitte der Stadt, den für den 13.5. geplanten Auftritt des Eva Klesse-Quartetts auf der Studiobühne des Stadttheaters öffentlich anzukündigen. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen. Hoffen wir, dass zumindest die vier im Herbst geplanten Gütersloher Jazz-Veranstaltungen stattfinden können. Sobald es wieder Sinn ergibt, unseren Kalender zu öffnen, werden wir sie natürlich gerne aufnehmen.

Textile Gebrauchskunst und geheimnisvolle Maschinen-Zeichen

Und was machen derweil die Bildenden Künstler*innen? Wohl denen, die jetzt eine Galerie mit Schaufenster haben. In Bielefeld nutzen sowohl die Galerie GUM am  Siegfriedplatz (Weststraße 66) als auch die “Raumstation” die Glasflächen zur Präsentation aktueller Kunstprojekte. Unter dem Motto “Wir schützen uns und andere” stellt Gabriele Undine Meyer sogenannte “Community-Masken” in zwei Modellen aus. Die von Susanne Awolin aus expressiven Baumwollstoffen genähten Mund-Nasen-Masken für den privaten Gebrauch können für 15 Euro erstanden werden und erfreuen sich so großer Beliebtheit, dass die erste Lieferung im Nu ausverkauft war. Die zweite steht am heutigen Dienstag (7.4.) ins Haus. Schnell sein lohnt sich. Die zeitgemäßen Accessoires sind praktisch und hübsch und die Krise noch lange nicht vorbei. Einzelheiten zum Erwerb erfährt man an der Galerie, wo außer den Schutzmasken durch das Schaufenster aktuell auch die kleine Fotoserie “HOW-TO SURVIVE A DEADLY GLOBAL VIRUS” des namibisch-deutschen Künstlers Max Siedentopf betrachtet werden kann. https://www.ggum.de/post/wir-schützen-uns-und-andere

Begehrte Accessoires dieser Tage: Die erste Lieferung der von Susanne Awolin künstlerisch gestalteten Mund- und Nasen-Masken für den Privatgebrauch war schnell ausverkauft.

In der “Raumstation” (Mittelstraße 9), die solange es keinen Plan gibt, “auf Sicht fährt”, wie Imke Brunzema sagt, dient das Schaufenster als  Ausstellungsort für eine raffinierte Kunstaktion. An zwei Schnüren hangelt sich eine Zeichenmaschine an der Glasfläche entlang und zieht auf diesem Wege Linie für Linie. Hinrich Schmieta, der Schöpfer der beweglichen Installation, hat verschiedene Motive programmiert. Die erste Zeichnung zeigt “Vergangenes” – geheimnisvoll! kontakt@raumstation.info

Launige Kunst-Mitmachaktion

Und dann ist da ja noch die Sache mit dem Toilettenpapier. Wenn die Peinlichkeit, es in Krisenzeiten zu hamstern,  nun schon einmal vor der ganzen Welt offen liegt, warum sie dann nicht gleich zum Gegenstand einer launigen Kunst-Mitmachaktion erheben? Dachten sich die Bielefelder Künstlerin Marie-Pascale Gräbener, Gaby Wieging aus Halle und ihr in Paderborn lebender Kollege Elmar Brinkmöller. “Clorona-Art – Dein Blättchen vom Feinsten” heißt das Projekt, das die anale Fixierung der Deutschen aufs Korn nimmt und ihr andererseits in gewisser Weise selbst unterliegt, indem es das Thema zur Kunst erhebt. Diesen Einwand  müssen und werden sich die drei fröhlich gefallen lassen. Alle in der Region künstlerisch Tätigen lädt das Trio ein, “ein Blättchen” von ihrem “wertvollen Toilettenpapier für die Kunst zu opfern” und es kreativ zu gestalten. Die Arbeiten werden in einer Online- Galerie veröffentlicht, längerfristig ist auch an eine Ausstellung außerhalb der Virtualität gedacht, und Brigitte Brand vom Kulturamt Bielefeld hatte Humor genug, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Weitere Informationen unter:  info@clorona-art.de                      

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.