Tür an Tür mit Rita

Die Liebenden von Gütersloh: Christine Diensberg als Rita und Fabian Baumgarten als ihr begehrter neuer Nachbar.

Ein aktuelles Theaterstück als Videoproduktion – kann das gutgehen? In Gütersloh hat man es auf den Versuch ankommen lassen und mit Joachim Zelters “Corona zu zweit” ein virtuelles Kammerspiel zur anhaltend kritischen Lage der Zeit an den Start gebracht. Quasi aus dem Nichts heraus, und damit der Krise, von der das Zweipersonenstück handelt, nicht unähnlich.

Dass es sich bei dem originellen Schauspielexperiment des Stadttheaters nicht um ausgereifte Bühnenkunst handelt, versteht sich von selbst. Und natürlich ersetzt solch ein aus der Not geborenes Alternativprogramm keinen gelungenen Theaterabend, der Intensität, Wirkung  und künstlerische Kraft nicht unwesentlich aus dem Bewusstsein des unmittelbaren  Sehens und Gesehenwerdens gewinnt. Die knapp 37-minütige, kostenfrei zugängliche digitale Uraufführung unter der Regie von Christian Schäfer versucht erst gar nicht, diese Situation zu simulieren. Statt dessen verbindet sie Schauspielkunst mit Kameraästhetik, schrägen Humor mit lakonischer Reflexion, surreale Beklemmung mit poetischer Weltsicht. Das Ganze unterlegt mit einem Soundtrack, der von Miriam Berger stammt, unter die Haut geht und dazu verführt, sich die starken letzten fünf, sechs Minuten dieser Romanze in Mull noch einmal und noch einmal anzusehen und anzuhören.

Dass dies möglich ist, gehört zu den unbestreitbaren Vorteilen der Videoproduktion gegenüber einer Bühnenfassung. Und unbestreitbar sinnfällig ist es auch, sich in den eigenen Wänden vor den Bildschirm zu setzen, um sich auf ein Stück einzulassen, das genau in diesem Hausarrest-Milieu spielt. Kein Zweifel, mit diesem Projekt, dessen Zustandekommen auf eine gute Vernetzung schließen lässt, leistet das Haus Pionierarbeit, und zur Überbrückung der zwangsweise aufführungsfreien Zeit funktioniert Zelters tragikomisches Beziehungsstück bestens. Auf eigenwillige Weise löst es ein, was Theater bieten kann: Spannung aufbauen, Assoziationsräume öffnen, Empathie erzeugen, nicht zuletzt die Seele berühren.

Krank und verliebt

Schon die ersten Bilder – Kamerafahrten über Stadt, Land, Mensch, begleitet von einer wie aus einiger Ferne herüberwehenden Frauenstimme –  versetzen  in lyrische Grundstimmung. Diese Perspektive ist, das wissen wir seit “Der Himmel über Berlin” oder “Angels in America”, nicht immer die eines Vogels; manchmal verweist sie auf etwas, das über das Irdische hinausgeht. So wie vielleicht jede Geschichte, die von Liebe handelt. In “Corona zu zweit” ereilt sie Rita (Christine Diensberg) und ihren neuen Wohnungsnachbarn (Fabian Baumgarten) virusartig und verläuft bald in ähnlich beängstigender Kurve wie die Krise selbst. In ihrem persönlichen Ausnahmezustand spiegelt sich die aus den Fugen geratene Zeit und Welt.

“Krank und verliebt, wo ist da der Unterschied?”, fragt Rita gegen Ende fiebernd, und ihr nicht minder mitgenommener Geliebter gibt stöhnend zur Antwort: “Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.” Da läuft ihre Geschichte, da läuft dieses Filmtheater, dieser Theaterfilm schon auf ein Ende zu, das glücklich ist. Die Krise ist überstanden, die Türen stehen wieder offen und führen in eine beseelte Natur, die ungerührt ihren Lauf nahm, während der Mensch hinter seinem Mundschutz vereinsamte.

Die Bilder, die Marwin Gansauge und Kai Uwe Osterhelweg mit der Kamera dazu einfangen, sind von bezwingender melancholischer Schönheit. Und Zelters Corona-Liebespaar? Ihm geht es wie den dunkel Liebenden in Paul Celans 1952 publiziertem Gedicht “Corona”, das im Theater-Clip zitiert wird und in dem es heißt: “wir schlafen wie Wein in den Muscheln”. Bis sie im umfassenden Sinne genesen, den Schritt ins Helle wagen und bereit sind, gesehen zu werden, sich als Paar zu zeigen: “Es ist Zeit”. Liebe als Krise also und Liebe zugleich als Schlüssel zur Überwindung. Ein altes Thema, wahrhaft virulent in diesen Tagen und vom Theater Gütersloh in einer Weise erfasst, die staunen lässt.   

Zu sehen noch bis 30. Mai 2020.

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.