Habt ihr was gehört?

Philip Zoubek am Flügel in der Capella hospitalis
Publikumskontakt nicht ausgeschlossen: Philip Zoubek vom "Emißatett", welches seine neue CD "physis" vorstellte (Fotos: Rainer Schmidt)

Die „gelockerte“ Konzertsaison hat kaum wieder angefangen, da ist schon die reguläre Sommerpause im Schwange. Gedanken zur Institution „Livekonzert“.

„Der Kritiker in dir darf ruhig zu Hause auf dem Sofa sitzen bleiben, wenn du es genießen willst“. Diese Erkenntnis hatte ich unlängst mitgenommen beim nach drei Monaten ersten Ausflug in eine bevorzugte Kneipe. Denn alles ist so anders unter den derzeitigen, durch die Ordnungs- und Gesundheitsbehörden verfügten „Regelungen“. Jetzt bin ich bereit für weitere Experimente, entledigt vom Gedanken, den Konsum dutzender Onlinedarbietungen aus der Region nachzuholen, Abonnements zu verwalten und Bandcamp-Spendenaktionen nicht zu verpassen. Das möge der Kritiker auf dem Sofa erledigen!

Ich hatte mich angemeldet zum zweiten Konzert nach Wiedereröffnung der Capella hospitalis als Spielstätte. Mit der Kölner Gruppe „Emißatett“ war eine der interessantesten Formationen der improvisierenden Szene angereist. Vor sieben Jahren gegründet, verfolgte das Quintett gelegentlich ein für Umbesetzungen und Mitspieler offenes Konzept. So war es auch vor drei Jahren im Bunker Ulmenwall zu erleben, trat aber nun in der Stammformation an, zu der neben Cellistin Elisabeth Coudoux Kontrabassist Robert Landfermann und der Ex-Bielefelder Posaunist Matthias Muche zählen, sowie der in diesem Jahr mit dem WDR-Jazzpreis ausgezeichnete Pianist Philip Zoubek und Etienne Nillesen, dessen Instrumentarium auf den Uneingeweihten einen eigenwillig kargen, eindimensionalen Eindruck macht: Nillesen spielt die Kleine Trommel.

Die Musiker betreten die Kapelle durchs Frontportal, während die Zuschauer ihre Plätze fast ausschließlich im Nebenraum zugewiesen bekommen haben, drei Meter Abstand zum Bühnenraum wahrend. Hat etwas von einer Versuchsanordnung, aber ich wollte ja nicht kritteln. Zur Erheiterung aller bemerke ich laut, dass man doch bitte den blendenden Scheinwerfer dimmen möge. Habe, wie immer auf den letzten Drücker angekommen, in meiner Aufregung nicht bemerkt, dass das an diesem sehr frühen Samstagabend die Sonne ist, die durch die Fensterrosette einstrahlt.

Improvisierte Musik mit und ohne Publikum

Was macht ein Livekonzert aus? Neben der Verbindlichkeit, an etwas teilnehmen zu wollen, auch die Unmittelbarkeit der Interaktion zwischen Ausführenden und Zuhörenden. Zwischenrufe, etwa wenn die Atmosphäre gar zu steif wirkt, können dazugehören, Rezensent*innen und (Mit-)veranstaltende dürfen sich jedoch gern enthalten. Oder wie seht Ihr das? Ihr könnt es uns gerne mitteilen.

(Zu Pfingsten hatte ich mit dem Gedanken gespielt, für Resonanzen aus der Halle des moers-festival zu berichten, statt dessen viel vom Livestream verfolgt. Man hatte vor der Bühne etwa zwanzig Stühle aufgebaut, auf denen akkreditierte Journalisten und pausierende Videocrew-Mitglieder Platz fanden, ansonsten gab es in „Miss Unimoers“ einen prototypischen Festivalgast (m,w,d) für die Kameras. Applaus, aus Festivalmitschnitten der vergangenen 40 Jahre, wurde vom Band eingespielt. Ich hatte den Eindruck, dass das „Publikum“ dazu angehalten war, nicht zu applaudieren, dabei wurde mir zugetragen, dass die Festivalleitung sich wohl kurzfristig bemüht hatte, noch weitere Interessenten einzuladen. In Interviews zeigten sich die Musiker auch begeistert davon, endlich wieder auf ein Gegenüber gestoßen zu sein, für Resonanz haben sie bekanntlich ein extrem feines Gespür.)

Lichtdurchflutet und klangerfüllt: Die Capella hospitalis beherbergt das Emißatett

Auch das Emißatett hatte sichtlich Vergnügen, in zwei Konzerten kurz hintereinander ihre exquisite Geräuschmusik zu präsentieren, insbesondere im abendlichen, in dem die volle Besetzung der Zuschauerplätze sich akustisch schon vorteilhaft bemerkbar machte. Philip Zoubek trat gewohnterweise als Energiebündel auf, das tonlose Streichen an den schwarzen Tasten entlang formte er wiederholt zu einem fordernd brüsken Akzent, ging an der Klaviatur und beim direkten Eingriff auf die Saiten des Flügels sehr intuitiv auf die Mitspieler ein und brachte mit Diskantgewirbel phänomenaler Intensität das Geschehen beinahe zum Abheben. Etienne Nillesen integrierte sich an der Snarredrum mit Cellobogen und diversen zum Reiben benutzten Schlagwerkzeug verblüffend in die Streichergruppe, wie auch Matthias Muche sich sehr weit entfernt vom typischen Bläserklang artikulierte, jedoch mit einem trockenen Hornstoß den Schlusspunkt des dichten Improvisationswerks markierte.

Recht spontan hat sich die Cooperativa Neue Musik entschlossen, vor der Sommerpause noch die Jour fixe wiederzubeleben und lädt am Montag, den 6.7. um 20 Uhr zu einem Austausch über Erfahrungen mit der Veränderung der Klanglandschaft während des Lockdowns ein.
Dazu soll es Berichte aus der Community der akustischen Ökologie und Klangbeispiele aus verschiedenen Ländern geben.

Rainer Schmidt

Autor*in: Rainer Schmidt

"Wenn man sich schon Illusionen macht, dann aber auch richtig. Es muss stimmen, wenns auch nur von kurzer Dauer ist." – Django