Der Dichter liest auf Zuruf

Lyrik als sprachliches Experimentierfeld: Ulf Stolterfoht stand im Zentrum der diesjährigen Lyrik-Werkstatt in der Stadtbibliothek Bielefeld (Foto: Elke Engelhardt)

Eingeleitet wird die diesjährige Lyrikwerkstatt mit einer Hommage an das 2003 beendete Bielefelder Colloquium Neue Poesie. Das liegt nahe, so Wolfgang Braungart, da es Ulf Stolterfoht ist, der dieses Mal 10 Gedichte für Bielefeld mitgebracht hat und den Kreis – wenigstens einen Abend lang – außerhalb des Kreises fortführt.

Schließlich ist Stolterfoht bekannt für einen sehr eigenen, besonderen und experimentellen Stil. Und nicht zuletzt für seine „Fachsprachen“, von denen mittlerweile fünf Bände vorliegen. Wobei die letzten Bände der Fachsprachen mehrheitlich aus Auftragsarbeiten bestehen, ein Thema über dessen Für und Wider Stolterfoht gern und ausführlich berichtet. Wobei das Für ganz ausdrücklich überwiegt. „Ich mach das ausgesprochen gern“, sagt der Lyriker über Auftragsgedichte.

Ein Dichter, der zu unterrichten versteht

Braungart schwärmt von Stolterfohts Poetikvorlesungen, die nicht zuletzt durch lustig-listige Gegenüberstellungen überzeugen. Ernsthaftigkeit und Humor schließen sich beim Brueterich Stolterfoht, der ein paar Jahre lang einen Verlag mit ebendiesem Namen geführt hat, nicht aus.

Der Dichter liest auf Zuruf des Publikums, das sich Gedichte aus dem Konvolut auswählen darf und das auch gerne und bereitwillig tut.

Dem angenehm litaneihaften Lesen des Dichters könnte man stundenlang zuhören, die von der Kritik gepriesene rhythmische Schönheit braucht eigentlich keine Erklärungen. Das Publikum empfindet das aber offenbar anders. Eine der ersten Fragen aus dem gewohnt engagierten Auditorium zielt auf den vermeintlich fehlenden Sinn ab. Eine Frage, die den Dichter, der das Gedicht selbst sehr narrativ findet, erschüttert. Stolterfoht will in seinen Gedichten nicht erzählen, andererseits müssen die Gedichte ja mit irgendetwas gefüllt werden, und also entstehen Gedichte, die so tun als ob; als ob sie erzählen, als ob sie einen näher bestimmbaren, gar verbindlichen Sinn haben. So gehen nach eigener Aussage des Dichters Reim und gedankliche Leere häufig Hand in Hand.

Mönche und Leichtkrafträder

Im Gespräch zwischen Dichter und Publikum erfährt man an diesem Abend einiges über Mönche und Leichtkrafträder, inwiefern neue konfessionelle Lyrik mit dem Kloster Irsee zusammenhängt, dass es unter Umständen einige Auftragsarbeiten gibt, die der Dichter im Nachhinein vielleicht doch besser abgelehnt hätte, und was ihm Strophen bedeuten. Aber auch über Hermeneutik und die Fähigkeit experimenteller Gedichte, die Willkür der Sprache aufzuzeigen, erfährt man Erhellendes. Überhaupt über Lyrik als Experimentierfeld von Sprache und Sprachphilosophie.

Das Gedicht, wünscht sich Stolterfoht, der Skrupel vor dem Begriff „Erkenntnis“ hat, soll zünden. Aber mit Begriffen sei es ohnehin so eine Sache. „Durch Benennung kriegt man die Welt nicht in den Griff“, ist er überzeugt. Man schafft ein System, aber in den Griff bekommt man nichts. Stattdessen gibt es das situative Vergnügen bei der Arbeit am Gedicht, ein Vergnügen, das sich bestenfalls auf die Leser*innen und Hörer*innen überträgt.

Die Schönheit des Unverständlichen

Am Ende bleibt die Frage, warum man so viel Zeit mit der Suche nach Sinn verbracht hat, obwohl der im Zuhören und Sich-Einlassen hätte liegen können. Von Stolterfoht hätten wir an diesem Abend lernen können, sich dem Offenen des Gedichtes hinzugeben und die Überforderung zu genießen, die es bedeutet, verstehen zu wollen, was nicht auf Verstehen ausgelegt ist.

Autor*in: Elke Engelhardt

Schreibt mit nicht nachlassender Begeisterung über Bücher. Ganz selten schreibt sie selbst eins.