Höhlen und Handwerk

Lutz Seiler im Gespräch mit Angelika Teller zu Gast bei den Literaturtagen in Bielefeld

„Unsere Eltern sollen es einmal besser haben“, dieses zentrale Motto ist die Art der Wirklichkeit unter der der Mittwochabend in der Stadtbibliothek stehen wird. Im Gespräch zwischen Lutz Seiler, dem vielfach ausgezeichneten Schriftsteller, und Angelika Teller, die den Abend moderiert, geht es um Eltern und Kinder, gesellschaftlichen Wandel, Handwerk und Musik. Und natürlich um das Radio. “Stern 111” sei lange Zeit das kostbarste und ein wesentlich den Alltag strukturierendes Gerät in seiner Kindheit und Jugend gewesen, erzählt Seiler, der das Gerät gar als Familienangehörigen bezeichnet.

Das Radio als Familienangehöriger

Stern 111, so erfährt man im Gespräch, war ein lange geplantes Buch. Bereits vor 10 Jahren versuchte Seiler den Roman bei seinem Aufenthalt in Rom in der Villa Massimo zu schreiben. Und scheiterte. Aus dem Scheitern entstand der ebenfalls prämierte Roman Kruso, dessen Personal jetzt, eine Dekade nach dem ersten Versuch, in Stern 111 einen erneuten Auftritt hat.

Zwischen Gespräch und kurzen Leseabschnitten, erfährt das Publikum an diesem Abend viel über die Stimmung des Romans, aber auch über Seiler und seinen Blick auf die Nachwendezeit und den Literaturbetrieb.

So kann der 1963 im thüringischen Gera geborene Seiler, wenig mit dem Etikett „Wenderoman“ anfangen. Ihm selbst ging es sowohl bei Kruso als auch bei Stern 111 weniger um die historischen Ereignisse, als um eine Geschichte von Menschen, die beinahe zufällig vor dieser speziellen historischen Folie spielt. Ein weiterer Begriff, mit dem Seiler wenig anfangen kann, ist das allerorten verwendete „Autofiktion“. Dass biografisches Material verwendet wird, ist ohnehin unumgänglich, wichtiger hingegen seien Rhythmus und Syntax, also eine Form, die aus dem Rohstoff des Autobiografischen Literatur entstehen lässt.

Höhlen und Handwerk

Die Motive, bei Seiler immer wieder Höhlen und Handwerk, werden so vom autobiografischen Material, zum tragenden Element des Erzählens. Seiler absolvierte eine Lehre als Baufacharbeiter und arbeitete als Zimmermann und Maurer, eine Ausbildung, die sich immer wieder in einer besonderen Art der Wahrnehmung niederschlägt: Seilers innigem Verhältnis zu Werkzeug und Handwerk. Er selbst erzählt, dass ihn am Ende des mechanischen Zeitalters, das wir längst erreicht haben, der Rückblick auf alles Haptische interessiert. Leidenschaftlich berichtet er von Werkzeugen und den schlechten Zähnen der Maurer, eine Folge des Verkostens von Mörtel.

Im Zentrum des Romans aber steht das „Elternrätsel“. Die Verwunderung des in der Heimat zurückbleibenden Sohnes über das Verhalten der Eltern, das gleichzeitig wie eine Umkehrung der gewohnten Generationenverhältnisse wirkt. Zwei mutige 50 jährige Ostthüringer ziehen in die Welt, während der Sohn nach innen aufbricht, „nach einer Passage in ein poetisches Dasein“ sucht.

Eltern, die zu Co-Autoren werden

Insofern ist der „Wenderoman“ neben Abenteuerroman und Entwicklungsroman natürlich auch eine Familiengeschichte. Seiler erzählt, dass er während des Schreibens viel mit seinen Eltern geredet habe, die sich im Laufe der Zeit immer mehr zu Co-Autoren entwickelten. Der Entwicklungsprozess, der im Buch beschrieben wird, ist etwas, das Seiler auch selbst während der Arbeit am Roman erlebte: die Einsicht, dass Eltern Menschen sind, die – außerhalb der Elternschaft – Persönlichkeiten mit Träumen, Werten und Vorstellungen über das eigene Leben sind. Die komplexe Beziehung zwischen Eltern und Kindern bildet auch den Hintergrund der Gedichte, die Seiler zum Abschluss liest. Ein neuer Gedichtband soll im nächsten Jahr erscheinen.

Autor*in: Elke Engelhardt

Schreibt mit nicht nachlassender Begeisterung über Bücher. Ganz selten schreibt sie selbst eins.