Die Kunst, einen Mangel zu erzeugen

Hans-Hilmar Koch bedruckt alte Seekarten mit einer traditionellen Hochdruck-Technik.
Hintergründig-humorvolle Kunst ist auch ein Widerstandsmittel in der Krise. Der diesjährige "Black Market" in der Bielefelder Galerie Kunstraum Rampe liefert dafür so originell daherkommende Beweise wie die farbigen Holzschnitt-Drucke auf alten Seekarten von Hans-Hilmar Koch. (Foto: Ralf Bittner)

Bielefelds “Schwarzmarkt” für Kunst lockt in die Neustadt: Museen sind geschlossen, aber kommerzielle Galerien dürfen öffnen, und da gehört auch Marion Dueballs Galerie Kunstraum Rampe mit seinem “Black Market” dazu. Zu sehen gibt es Neues von acht Künstlerinnen und Künstlern.

In Zeiten der Verknappung bestimmter Waren blüht der Schwarzmarkt. Einlass nur nach Anmeldung für einen beschränkten Kreis, ein Eingang im Hinterhof und ein Weg vorbei an verdunkelten Schaufenstern – ein wenig fühlt es sich fast so an, als müssten sich Kunstfreude auf den Weg in die Hinter- oder Unterwelt zu machen, um doch noch ein wenig Kunst sehen (und kaufen!) zu dürfen. Wie schon in den Vorjahren lädt der Kunstraum Rampe, Neustädter Straße 9, wieder zum Black Market. Selten wohl schien dieser Titel treffender.

Drinnen gibt es „Mangelware in Corona Zeiten“. Gemeint ist damit kein Toilettenpapier (aber auch), sondern Kunst von acht Künstlerinnen und Künstlern. Einige waren mit ihren Arbeiten schon häufiger in der Rampe vertreten, wie die Bielefelder Malerin Alexandra Sonntag. Anderes, etwa die Straßenfotografien z.b.pohls, wurden von Marion Dueball im Internet entdeckt und sind erstmals zu sehen.

Alexandra Sonntag zeigt beim Black Market im Kunstraum Rampe aktuelle Aquarelle.
Alexandra Sonntag zeigt beim Black Market im Kunstraum Rampe aktuelle Aquarelle. Alle Fotos: Ralf Bittner

„Shelter“ (Schutz) hat die in Bielefeld lebende, in einem Herforder Atelier arbeitende und zwischen OWL und Genf pendelnde Künstlerin Alexandra Sonntag ihre 16 für die Ausstellung ausgewählten Aquarelle genannt. In der Ausstellung „tierisch gut“ im Frühjahr 2019 hatte sie sich noch malerisch mit „tierischen“ Motiven auseinandergesetzt. Deutlich leichter präsentieren sich jetzt ihre Aquarelle, die den Menschen zum Thema haben. Allein präsentieren sich die Figuren auf papierfarbenem Grund, als sehnten sie sich nach einen Gegenüber, das sich die Mühe macht, sich ihnen zwecks genauer Betrachtung zu nähern.

Schmunzeln lassen die Objekte von Erika Plamann und Frank Herzog. Herzog hat 11 elf geschnitzte und mit Ölfarben täuschend echt bemalte „Steckdosen“ und ein „altes“ auf-gespleißtes Kabel an den Wänden verteilt. Farbenfroh mit Wachs und Pigmentfarben überzogen, präsentieren sich Plamanns Objekte. Unter der glänzend-farbigen Hülle finden sich Produkte aus der Massenproduktion von Andenken oder Mitbringseln, in diesem Fall Schneckenhäuser und Kröten

Erika Plamann zeigt Wachsabgüsse von Mitbringseln - hier Kröten - die sie in mehreren Schichten mit Pigmenten und flüssigem Wachs bemalt.
Nicht zu unterschätzen: Kröten. Erika Plamann hat diese hier gestaltet, und ob sie eine von jenen ist, die wir täglich schlucken, liegt im Auge des Betrachtenden

Ist das Kitsch? Aber sicher. Und warum auch nicht? Wer möchte, kann bei den Kröten auch an die Wanderungen denken, die für die Menschen ja gerade nicht möglich sind. Vielleicht sind die Kröten aber auch Frösche, dann kann sich der Betrachtende ja ins Märchen träumen. Um den Frosch mit einem in einen Prinzen (oder nach Wunsch auch in eine Prinzessin) zu verwandeln, muss das Objekt aber gekauft werden. Denn in Corona-Zeiten gilt noch mehr als sonst – Anschauen erlaubt, Berühren verboten.

Die Mundschutzmasken von Marion Goes sind tragbar, werden aber als Wandobjekte zu einem Zeichen der Zeit.
Die Mundschutzmasken von Marion Goes sind tragbar, werden aber als Wandobjekte zu einem Zeichen der Zeit.

Ganz ohne textile Mund-Nasen-Schutzmaske ist derzeit kein Ausstellungsbesuch möglich. In der Mangelwaren-Ausstellung zeigt Marion Goes Schutzmasken-Objekte mit gestickten Motiven nach eigenen Zeichnungen. „Die Masken sind bei 60 Grad waschbar und damit alltagstauglich“, sagt Dueball: „Und wenn die Pandemie vorbei ist sind sie auch als farbenfrohe Wandobjekte nutzbar.“ Diese Kunst kann also keinesfalls weg. Oder wenn dann nur gegen Bares. Öffnen darf Marion Dueball ihren Kunstraum Rampe ja nur, weil er als Einzelhandel gilt, wenn auch unter Einschränkungen.

Petra Weifenbachs zeigt auch acht Fotoabzüge mit dem Titel "Mangel 2020". Die verweisen auf die Einschränkungen des Kulturbetriebs in Corona-Zeiten.
Kunst und Künstlichkeit und was dieses Begriffspaar mit der Erzeugung eines Hypes zu tun hat, erzählen die Plakate von Petra Weifenbach

“Kaufen! Kaufen! Kaufen!” steht dann auch auf einem der großen, plastisch bearbeiteten Fotoabzüge, die von der Lütjenberger Künstlerin Petra Weifenbach als Plakate markant an verschiedenen Stellen der Ausstellung platziert wurden. Die Hinweise sehen jenen Aufstellern zum Verwechseln ähnlich, die wir seit den ersten Hamsterkäufen aus den Supermärkten kennen. Nur dass es jetzt die Kunst ist, die zur heißbegehrten Mangelware erklärt wird. Ein sehr hintergründiges Spiel mit Kunst und Kommerz. Vollständig aufgehen würde Weifenbachs selbstverständlich ironisch gemeinte Message, wenn bei der Finissage alle Werke tatsächlich verkauft und die Wände am Ende so leer wären wie einst im Mai es gewisse Regale in der Haushaltshygieneabteilung gewesen sind. Und vielleicht passiert das ja auch, wer weiß? Die Zeit ist an sich verrückt genug dafür. Die Künstlerin scheint jedenfalls willens, der Krise mit Humor zu trotzen. Davon zeugen auch ihre kleinformatigen Collagen aus Papier und Keramik.

Karin Irshaid, die lange in Bielefeld lebte, zeigt Zeichnungen und die große Arbeit "abends um halb elf". Die Lesung aus ihrem aktuellen Buch "Reise nach Jerusalem" konnte wegen Corona nicht stattfinden.
Die Lesung mit Karin Irshaid muss leider ausfallen. In ihr neues Buch “Reise nach Jerusalem” kann in der Galerie stattdessen selbst hineingelesen werden

Eine gewisse Leichtigkeit, kräftige Farbigkeit in den Bildern, Mut zur Unernsthaftigkeit in den Objekten, zeichnet den diesjährigen “Black Market” insgesamt aus. So als wollten die Teilnehmenden sagen: Noch ist uns das Lachen nicht vergangen. Kunst ist – das macht die Ausstellung deutlich – auch der Wille und die Gabe des Über- und Widerstehens. Ist kampferprobt und krisenfest im Schöpferischen. Und es tut gut, diese Kräfte auf sich wirken zu lassen.

Ein Besuch der Galerie ist also in jedem Fall eine Empfehlung. Es gibt erstaunlich viel zu entdecken. Von den farbigen Holzschnitt-Drucken auf alten Seekarten und handgedruckten Postkarten mit scharfsinnigen Sprüchen und Zitaten, wie sie Hans-Hilmar Koch zeigt, bis zu den grafischen Arbeiten der Malerin, Zeichnerin und Autorin Karin Irshaid, die sich mit dem Phänomen “Zeit” auseinandersetzen und mit der Wahrnehmung der Welt. Zart in den Buntstiftzeichnungen, ausdrucksstark in der großen Ölzeichnung “…abends um halb elf”.

Der Bielefelder Maler und Zeichner Gunther Grabe zeigt neue Arbeiten aus seinem Zyklus Walchensee, hier malte er sich in eine Reproduktion eiens Bildes von Lovis Corinth.
Der Bielefelder Maler und Zeichner Gunther Grabe zeigt neue Arbeiten aus seinem Zyklus Walchensee, hier malte er sich in eine Reproduktion eines Bildes von Lovis Corinth.

Dazu die ebenso originellen wie kunstfertigen “Walchensee”-Werke Gunther Grabes, eine Verneigung vor Lovis Corinth; auch sie nicht ohne Humor, nicht ohne milde Selbstironie. Und nicht zuletzt z.b. pohls zeitkommentierende, in Bielefeld entstandene Straßenfotografien, die eine Gesellschaft ablichten, die zur Zeit hart auf die Probe gestellt wird. “Scarce goods” (Mangelware) heißt die Serie, die er in der Rampe ausstellt und besser zum Motto dieses Kunst-Schwarzmarktes, dieses denkwürdigen Jahres, gar nicht passen könnte.

z.b.pohl ist Musiker und Performer. Im Kunstraum Rampe zeigt er erstmals seine Street-Fotografien.
z.b.pohl ist Musiker und Performer. Im Kunstraum Rampe zeigt er erstmals seine Street-Fotografien.

Bis zum 16. Dezember und vom 6. bis zum 23. Januar bietet die Galerie Interessierten mittwochs und freitags jeweils von 17 bis 19 Uhr und samstags von 12 bis15 Uhr halbstündige Zeitfenster für den Ausstellungsbesuch an. Notwendig ist allerdings eine Anmeldung an Tel. (05 21) 29 84 47. Weitere Infos auf www.kunstraum-rampe.de

Autor*in: Ralf Bittner

Ralf steht lieber hinter als vor der Kamera, erkundet seine Welt gern zu Fuß und hat ein Herz für Großartiges in kleinen Locations.