Schreibtisch mit Aussicht

Schreibtisch mit Aussicht - Schriftstellerinnen über ihr Schreiben

Das letzte Jahr war ein gutes Jahr für Frauen: Anne Weber gewann mit ihrem Heldinnenepos Annette den Buchpreis, Helga Schubert mit ihrem Text den Bachmannpreis, Elke Erb wurde der Büchnerpreis verliehen. Und das letzte Jahr war ein schlechtes Jahr für Frauen: kaum waren Homeoffice und virtueller Unterricht verordnet, begann die Retraditionalisierung der Rollen. Aber auch ohne derartig große Ausschläge ist das Schreiben von Frauen seit jeher eine ambivalente Angelegenheit. Davon erzählen in der von Ilka Piepgras herausgegebenen Anthologie 23 ganz unterschiedliche Autorinnen.

Die Herausgeberin nennt Georgs Orwells „Why I write“ als Ausgangspunkt, Schriftstellerinnen von ihrer Arbeit erzählen zu lassen. Dabei liegt Piepgras’ Motivation unter anderem darin, dass sie nicht glaubt, eine gerechtere Besprechungsquote im Feuilleton von Autorinnen würde das Problem der längst noch nicht erreichten Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Literaturbetrieb lösen. „Denn die Ursache liegt tiefer, sie liegt in der unterschiedlichen Erwartungshaltung an die Geschlechter […] Es fehlen Vorbilder und Ideale von Schriftstellerinnen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.“ Auch mit diesen Thesen setzen sich die Schreiberinnen in ihren Texten auseinander.

23 bekannte Schriftstellerinnen erzählen von ihrem Versuch, “ich” zu sagen

Alle zu Wort kommenden Frauen sind bekannte Schriftstellerinnen, die sich und ihr Schreiben jedoch durchaus unterschiedlich verorten. Interessant (oder bedauerlich) ist, wie einige der Frauen sich selbst sexistischen Vorurteilen aussetzen. So ärgert sich Eva Menasse über die weibliche Konzeption ihrer Romane. Sie schreibt, dass ihre Art Romane zu planen, sie ärgert: „[…] aus prinzipiellen Gründen, denn es scheint mir typisch weiblich zu sein. Männer machen Raster, Listen, mehrfarbige, großformatige Pläne, Frauen haben so ein Gefühl für den Text, sie schauen gern, `wohin es mich treibt`. Aber ich kann nicht dagegen an, rational, geplant und ordentlich, wie ich sonst im Leben bin – beim Schreiben bin ich weiblich.“

Weiblich aber, das machen die Beiträge in dieser Sammlung klar, ist (und natürlich ist das ganz logisch und trotzdem scheint es erwähnt werden zu müssen) ebenso vielfältig, wie das Menschsein allgemein. Da schreiben Spielerinnen, Beamtinnen, die Kosmopolitin und Sprachnomadin kommt zu Wort, manchen ist die Literatur ein Zuhause, sie schreiben mit Geduld und Beharrlichkeit, schöpfen ihre Inspiration aus ständiger Wachsamkeit, pendeln zwischen Größenwahnsinn und Scham, schreiben im Rausch, um sich selbst zu vergessen, oder um sich von den eigenen Ängsten zu befreien, entdecken die Freiheit, die darin liegt, ich zu sagen.

Was ebenfalls logisch ist, und dennoch von fast allen Frauen in diesem Band betont wird: es ist bei Frauen genau wie bei Männern eine Grundvoraussetzung Zeit, Ruhe und Unterstützung zu bekommen. Am konstruktivsten setzt sich Siri Hustvedt mit der Rollenzuschreibung als Frau auseinander: „Mein Geschlecht“, schreibt sie, „wird im Traum erst wichtig, wenn es in Zweifel gezogen wird […] die Träume erkennen eine Wahrheit, dass in mir ebenso ein Mann wie eine Frau ist, und dass diese Dualität tatsächlich Teil des Menschseins ist, aber kein Teil, der leicht zu vereinbaren wäre.“

Geschlecht als gesellschaftlich definierte Rolle

Letztendlich offenbaren alle Beiträge, ebenso wenig überraschend wie häufig vergessen, dass Frau oder Mann in erster Linie gesellschaftlich definierte Rollen sind, die noch immer erschweren, wenn nicht gar verhindern, dass ein Mensch, unabhängig von seinem Geschlecht, sein volles Potential entfalten kann. Das Problem ist das Problem, schreibt Antonia Baum, und dass sich nicht das Schreiben, aber die Taktung des Schreibens ändert, sobald ein Kind ins Leben einer Autorin tritt.

Fast durchgängig haben es schreibende Frauen schwer, egoistisch zu sein, denn das ist schließlich alles andere als eine weibliche Tugend. Sich selbst ernst zu nehmen und für sich einzutreten, lernen nach wie vor Jungen sehr viel besser als Mädchen. Das Recht und die Fähigkeit, an die eigene Arbeit des Schreibens zu glauben, ist für fast jede Autorin schwer.

Vielleicht ist auch deswegen in vielen Beiträgen von Neid die Rede. Aber es kommt mir so vor, als sei dieser Neid eine Art, sich mit dem eigenen Minderwertigkeitskomplex (nie gelernt, an sich als Autorin zu glauben!) zu arrangieren, ihn irgendwie zu externalisieren, und damit noch weiter zu verfestigen. Oder vielleicht verdankt sich diese Einschätzung meinerseits auch eher dem Wunsch, der sogenannte Neid möge sich in Mut verwandeln. Die Schriftstellerinnen könnten aufhören, sich zu vergleichen und endlich einmal so verwegen sein, vergleichslos auf die ganz eigene Art zu scheitern oder zu triumphieren.

„Worum ich ihn beneidete, war, was sein Talent und sein Erfolg ihm verschafft hatten, nämlich das Gefühl, dass das, was er tat, das Richtige war. Ich wollte, was Frauen immer wollen: Erlaubnis.“ (Antonia Baum).

Nicht offen ausgesprochene Verachtung weiblicher Kunst

Was Frauen, die schreiben stattdessen häufig bekommen, benennt keine so klar wie Elfriede Jelinek: „Die Frau hat kein Werk. Mir fehlt in der Debatte um weibliche Kunst und Weiblichkeit im Öffentlichen immer ein einziges Wort: Verachtung.“

Und eigentlich nur aus diesem Grund ist „Schreibtisch mit Aussicht“ ein Buch über weibliches Schreiben, und nicht einfach ein Buch darüber, warum Menschen schreiben, wobei zufällig ausschließlich weibliche Personen sich mit dieser Frage befassen.

Der fiktive Status von Identität

Aber um versöhnlicher und mit einer echten Perspektive zu schließen, lasse ich Zadie Smith die Frage stellen, was die wahre Rolle des Autobiografischen in der Literatur ist. Denn sie gibt eine der besten Antworten darauf, die ich bislang gelesen habe. Dass diese Rolle nämlich im Beharren auf dem grundsätzlich fiktiven Status von Identität beruhe, habe sie bei Philip Roth gelernt, die Erkenntnis, Aneignung und Nutzbarmachung der Erkenntnis für das eigene Schreiben aber sei ihr eigener Verdienst.

Überhaupt wünsche ich mir immer häufiger, wir könnten diese Dichotomie endgültig vernachlässigen, wenn nicht gar endlich überwinden1 und schlicht dazu übergehen, unsere Andersartigkeit, Vielfalt und unsere Unterschiede dazu zu nutzen, einander zu inspirieren und zu ergänzen. Um nicht zuletzt gemeinsam gegen strukturelle Benachteiligungen vorzugehen, weil wir erkennen, dass sie uns allen schaden.

1Und es gibt in diesem Jahr, das ja noch relativ jung ist, bereits zwei beeindruckende Beispiele, wie so etwas gelingen kann; ich meine „Kinder kriegen – Reproduktion reloaded“ von den Herausgeberinnen Barbara Peveling und Nikola Richter und „Frauen | Lyrik“ von Anna Bers.

Autor*in: Elke Engelhardt

Schreibt mit nicht nachlassender Begeisterung über Bücher. Ganz selten schreibt sie selbst eins.