Der Stallgeruch des Himmels

Werden wir fliegen im Himmelreich oder bleiben unsere Flügel auf der Erde zurück? Was genau ist überhaupt das Himmelreich? Und hat Forschung nicht auch etwas mit Forschsein zu tun? In Hanne Bockés funkelnden Prosastücken, die vor dem Himmel nicht halt machen, blitzt der Gedanke auf. Foto: Antje Doßmann

Hanne Bocké wurde 1954 im westfälischen Oelde geboren. Sie hat in Kunstgalerien gearbeitet, katholische Religion an einer Berliner Brennpunktschule unterrichtet, Deutsch- und Darstellendes Spiel-Kurse gegeben. Irgendwann hat sie begonnen, kleine und sehr pointierte Beobachtungen aus ihrem Alltag zu Papier zu bringen, die oft in der Bielefelder Literaturzeitschrift “Tentakel” abgedruckt wurden. Nun hat Hanne Bocké über 200 dieser literarischen Miniaturen, deren Stil zwischen tagebuchartigem Eintrag à la Max Frisch, erweitertem Aphorismus, Kurzdrama  und – geschichte changiert, zu einem Erzählband zusammengestellt. “Himmelreichforschung” bietet Gelegenheit, eine scharfsinnige Beobachterin der comédie humaine kennenzulernen, die den Mut hat, ohne Schere im Kopf über die Zumutungen des Lebens zu schreiben und darüber, in welche traurig-komischen Situationen es uns immer wieder bringt.

In ihrer ausgedehnten Himmelreicherforschung paart sich echte Verzweiflung mit persönlichen Epiphanien, ernsthafter Schmerz mit galligem Humor. Und  immer können wir uns sicher sein, dass sich noch in ihre wütendsten Attacken gegen die sinnlose Blase der auf Konsum und Selbstoptimierung getrimmten Wirklichkeit die Hoffnung auf eine Wendung zum Besseren mischt. Wenn auch oft mit einem Augenrollen und gehörigem Kraftausdruck verbunden, ist diese Hoffnung bei Bocké ganz auf das Irdische ausgerichtet und das “Himmelreich” nicht als fernes Elysium zu verstehen, sondern als durchaus weltliche Arbeitsstätte. In einem der gelungensten Gedankenaufschwünge dieses Buches schreibt sie unter der Überschrift “Himmlisches Jerusalem”: “In Helfta verstehe ich besser, wie die Schwestern, wie wir alle im Kosmos zur Arbeit gehen. Wie der Himmel womöglich wie ein Stall aussieht und doch der Himmel ist.”

Es liegt eine urwüchsige, raue, zärtliche Kraft in der Art, wie Hanne Bocké sich weigert, sich und die anderen, die sie grimmig liebt, mit unangenehmen Wahrheiten zu verschonen. Nein, das Leben ist für sie nicht ganz so wie in der Rama-Werbung verlaufen. Nix da mit Traummann und Kleidergröße 36. Von Kindern ganz zu schweigen. Natürlich weiß eine Hochreflektierte wie sie, dass der schöne Reklame-Schein nicht das Eigentliche ist, wonach sie sucht. Aber sie erlaubt sich, einer Sehnsucht danach Ausdruck zu verleihen, die auf sehr eigenwillige Weise das Irdische mit dem Himmlischen verknüpft. Das “dumme Karstadt” etwa mit dem Kloster Helfta. Weil unser Weg immer mittendurch geht: per ce val. Und es am Ende neben viel Glanz auch echte “Kacktage” auf dieser Heldinnenreise gibt. “Ist so”, wie Hanne Bocké sagen würde.

All die herrlich gegen den Strich gebürsteten Figuren, die bei ihr auftauchen, vor allem Gertrud und Hilde, die sich ruhig als andere Ichs der Autorin verstehen lassen können, erzählen etwas von der ganz schönen Tapferkeit, die es manchmal braucht, ungebrochen im Sinne von nicht kleingekriegt durchs Leben zu strudeln. Wenn es eben nicht nur keinen Traummann und keine Traumkinder gibt, sondern gar keinen Mann, gar keine Kinder, und oh dieses noch immer quälende Verlangen an manchen Tagen.

Doch Hanne Bocké wäre nicht Hanne Bocké, wenn sie uns ohne Trost aus dem Buch entlassen würde. Bei ihr hört er sich so an: “Indem man zum Beispiel zuerst zur Käsetheke im Rewemarkt geht und sich da den mittelalten Gouda holt. Der schmeckt besser als die Käselettenscheiben, die man beim Bäcker kriegt. Dann braucht man sich nur noch das preisgünstigere süße Frühstück zu bestellen und hat prima Käsebrötchen mit Marmelade. Hinterher kann man die Ewigkeit dann schon viel zuversichtlicher angehen.”

Hanne Bocké: “Himmelreichforschung”, Erzählungen, 229 S., Kid-Verlag, 16 Euro.  

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.