Dirk Raulfs Stamm-Kundschaft

Woher wir stammen, lässt uns nie ganz los, so weit wir uns im Leben auch verzweigen. Der in Köln lebende Künstler Dirk Raulf erkundet seine Heimat Lippstadt seit einiger Zeit mit liebevoll-kritischer Aufmerksamkeit. Was für ihn dabei tragbar ist und was nicht, entscheidet er selbst. Foto: Antje Doßmann

Es gibt Rechtsextremismus in Deutschland. Es gibt rassistisch motivierten Terror, anonyme Drohungen, offene Gewalt gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund. Tag für Tag. Die aktuellen Ermittlungen in Sachen “NSU 2.0” erinnern uns nur schmerzlich daran. Was ist dagegen zu halten? Wie in der Kunst- und Kulturszene ein Zeichen gesetzt werden kann gegen rechts, führte der in Köln lebende Musiker Dirk Raulf unlängst vor Augen, als er einen geplanten Auftritt mit der Schauspielerin Meret Becker am Stadttheater Lippstadt cancelte, weil einer der Sitze des renovierten Hauses von AfD-Lokalprominenz gesponsert worden war.

Courage, Hut ab! Besonders angenehm war das gewiss nicht, die Planungen und die feste Zusage über den Haufen zu werfen, Menschen zu enttäuschen, die sich besonders vom Auftritt Meret Beckers prominenten Glanz versprachen, ganz abgesehen von dem finanziellen Verlust, den der Boykott des Hauses als Auftrittsort für das Duo bedeutete. Aber wie, so argumentiert Dirk Raulf absolut nachvollziehbar, hätten sie unter diesen Umständen dort eine Lesung abhalten können, bei der u.a. der Schriftsteller Gottfried Kapp zu Wort gekommen wäre, der eine Zeitlang in Lippstadt lebte, mit der Tochter des jüdischen Hella-Gründers Sally Windmüller verheiratet war und 1938 bei einem Verhör durch die Gestapo unter nie geklärten Umständen ums Leben kam? Es ging für ihn einfach nicht, und natürlich ist es ganz in Raulfs Sinne, dass durch den Vorfall nun innerhalb des Theaters, aber auch der Stadtgesellschaft und Politik eine Debatte entbrannt ist über die Grenzen der Neutralität, institutionellen Ermessungsspielraum und persönliches Standing.

Wie auch immer diese Kontroverse ausgehen wird und ob sich am Ende gar von Seiten des Theaters verspäteter Widerstand gegen den AfD-Sponsor regen wird – Tatsache ist, dass es die Rechte ist, die von einem allzu im Formalismus erstarrten Demokratieverständnis profitiert und selbst keinerlei Skrupel erkennen lässt, sich seelenruhig in Stätten der Kultur breitzumachen, die ein fundamental anderes Weltverständnis und Menschenbild vertreten als sie. Das ist inakzeptabel, und einer wie Dirk Raulf hält so etwas im klugen Kopf nicht aus. Von Freunden wie Joachim Król, den er ebenfalls nach Lippstadt holen möchte, vermutet er Ähnliches.

Ein alternativer Auftrittsort wird in Zukunft vielleicht die alte Synagoge sein, an dessen Wiederherrichtung der Wahl-Kölner entscheidend mitgewirkt hat. Anzunehmen ist, dass er in Lippstadt ebenso viele Fans wie Widersacher hat. Den Ewiggestrigen wird sein kritisches Interesse an der Stadt ein Dorn im Auge sein. Und allen, die keine Veränderung wollen, weil sie Angst davor haben, ebenfalls. Aber Veränderungen sind das, worauf die Aktionen des Musikers abzielen. Seit er Lippstadt in seinem täglichen Blog “Heimat.Kunden” zu einer Art künstlerischem Forschungsprojekt erklärt hat, lässt er dort wenige Steine auf den anderen, stellt Straßenbenennungen in Frage, kuratiert aber auch über die Stadt hinausweisende Kultur-Highlights wie die Lichtpromenade. Und wer ihn Nestbeschmutzer schimpft, was hinter vorgehaltener Hand gewiss hier und dort geschieht, hat eines nicht verstanden: Er ist das genaue Gegenteil.

Zu Dirk Raulfs Fortführung des Projekts, was Musik angeht:

Am 16. Mai und am 12. Juni mit „d.o.o.r“ Video- und Tonaufnahmen in Lippstädter Kirchen.

Gast am 16. Mai ist Willem Schulz, Cello.

Gast am 12. Juni ist Sven Pollkötter, Perkussion.

An beiden Tagen werden jeweils 5 Kirchen klanglich untersucht, d. h. das dauert jeweils von 9/10 Uhr bis abends.

Im Juni geplant: 4 Konzerte open air „Konzerte für Passanten“ auf der Burgruine Lipperode, ein Ort, der für Konzerte in Corona-Zeiten wie geschaffen ist durch natürliche Bühne und weitläufige Möglichkeiten für Zuschauer. Die Spielfläche 20 x 20 m auf der Ruine, von Wassergraben umgeben, dann das Publikum.

6. Juni 17 – 20 h Deep Schrott

13. Juni 17 – 20 h Drums Off Chaos

20. Juni 17 – 20 h La Piccola Banda

27. Juni 17 – 20 h d.o.o.r

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.