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Spannend: Andrea Köhns und Gisela Wäschles Ausstellung "nah wie fern" im Rittersaal der Burg Dringenberg zeigt zeitgenössische Kunst im historischen Raum

Andrea Köhn und Gisela Wäschle zeigen Arbeiten im großen Rittersaal der Burg Dringenberg/Bad Driburg. Noch bis zum 4. Juli können die abstrakten Kompositionen (Köhn) und malerischen Untersuchungen zu Moosen (Wäschle) der beiden Bielefelder Künstlerinnen in diesem ungewöhnlichen Ambiente in Augenschein genommen werden. Ein Besuch, der sich unbedingt empfiehlt. Nicht zuletzt, weil sich ein Ausflug nach Dringenberg in mehrfacher Hinsicht wie eine Zeitreise ausnimmt.

Dass die Uhren in dem “Idyllischen Burgdorf im Naturpark Teutoburger Wald – Eggegebirge”, wie sich Dringenberg auf seiner Internetseite selbst beschreibt, ein wenig langsamer ticken als beispielsweise in Köln, liegt auf der Hand. Was aber den Charme des 1411 Seelen-Dorfes ausmacht, das zusammen mit Siebenstern einen Stadtteil von Bad Driburg bildet, ist das natürliche Selbstbewusstsein, mit dem hier das Leben in einer ländlichen Region repräsentiert wird. Und beim Rundgang durch das Dorf ist ein geselliges Miteinander zu erleben, das dagegen eine mittlere Kleinstadt an einem Samstagnachmittag so nicht immer unbedingt zu bieten hat.

Engagierter Kunstverein im ländlichen Raum

Dazu kommt ein in der Region beispielloses Engagement für die Kunst, insbesondere der bildenden Kunst. Auch Andrea Köhn und Gisela Wäschle verdanken die Einladung zur Ausstellung in der Burg dem 2002 als “lokale Initiative zum Erhalt des Historischen Rathauses Dringenberg und zur Förderung von Kunst und Kultur” gegründeten Kulturverein ART DRIBURG, dem mittlerweile beachtliche 122 Mitglieder angehören. Es scheint, als hätte der Verein mit seinen beiden Ausrichtungen – Bewahrung des Alten, Offenheit für das Neue – von Anfang an eine Richtung eingeschlagen, die für die ländlich geprägte Region Südliches Ostwestfalen goldrichtig war.

Beruhigende Klarheit: Andrea Köhns abstrakte Kompositionen wirken wie Wanddurchbrüche, Fenster in eine neue Zeit Fotos: Antje Doßmann

Blickt man von dem Hügel, auf dem die Höhenburg Dringenberg 1318-23 zur weltlichen Herrschaft des Bistums Paderborn errichtet wurde, bietet sich eine schöne Sicht auf die Hänge des Teutoburger Waldes und der Egge, und unten im Tal schlängeln sich die Nebenflüsse der Weser Emmer, Aa, Nethe und Öse. Eine geschwungene, abwechslungsreiche Landschaft, für die Andrea Köhn und Gisela Wäschle gewiss ein Auge hatten, als sie ihre für die Ausstellung “nah wie fern” ausgewählten Werke von ihren Bielefelder Ateliers in den großen Rittersaal der Burg verfrachteten. Denn ein sehr genauer Blick auf die Natur, die sie umgibt, ist beiden Künstlerinnen zu eigen.

Es ist nicht das erste Mal, dass sie zusammen ausstellen. Gelegentlich arbeiten sie auch zusammen. Etwa, als sie sich vor einigen Jahren gemeinsam mit ihrer Herforder Kollegin Katharina Hagemann auf eine ausgedehnte künstlerische Entdeckungsreise gen Norden begaben. Das Gegenteil der klassischen “Italienreise” gewissermaßen. In drei Etappen ging es damals von Bielefeld bis nach Hamar in Norwegen – weitgehend zu Fuß! Die Arbeiten, die unterwegs entstanden, zeugten von den individuellen Sichtweisen der Künstlerinnen, aber auch davon, wie produktiv sie sich ergänzten und im Zusammenspiel neue Räume der Deutung eröffneten.

Moderne Kunst im historischen Raum

Ein Effekt, der sich auch bei dieser Ausstellung einstellt, und vielleicht gehört auch die kleine Strecke Weg durch die Burg bis zu dem Saal, in dem die Arbeiten von Andrea Köhn und Gisela Wäschle zu finden sind, in diesem Fall zur Rezeption dazu. Der freundliche Empfang durch den Pförtner und das Röhrenradio hinter seinem Tresen. Der Saal voller historischer Puppen, den es dann zu durchqueren gilt, und das leichte Unbehagen, das die tausend toten Augen erzeugen. Und dann der Eintritt in den Rittersaal und die Erleichterung, die sich sofort einstellt. Das hat etwas mit dem Geist zu tun, den die Werke der beiden Künstlerinnen ausatmen. Er erzählt von der Freiheit, die heute erreicht ist und zugleich von den Dingen, die Bestand haben durch alle Zeiten.

Gisela Wäschle; Moose, Acryl auf Leinwand, je 120 x 100 cm

In dieser Lesart können die Moose, die bei Gisela Wäschle im Zentrum stehen, als Stellvertreter des wahrhaft Ehrfurcht gebietenden Vorvergangenen verstanden werden. Mit großer Neugier und Faszination nähert sich ihre serielle Studie in Acryl auf Leinwand, Aquarell/Acryl auf Bütten, Ayryl/Tusche und Graphit auf Papier diesem geheimnisvollen Organismus an, der zu den frühsten der Erdgeschichte gehört; das älteste Moos-Fossil ist rund 350 Millionen Jahre alt. Was uralte Lebensformen uns über die Erde und unser eigenes Hiersein zu sagen haben, ist als mögliche Antwort zu erkennen in diesen archaisch anmutenden und doch ganz diesseitigen Arbeiten.

Auf andere Weise und aufleuchtend in diesen intensiven, selbst geschaffenen Farben, die für die Künstlerin spezifisch sind, geben Andrea Köhns Abstraktionen Einblick in einen Prozess der Auseinandersetzung mit den Erscheinungen der Wirklichkeit. Grundformen und Grundfarben in immer neuen Konstellationen, gegenübergestellte und ineinander verschobene Flächen, abgegrenzte Areale und vermischte. Leinwände, die wie Fenster in eine lichtvolle strahlende Welt deuten. Ihre tiefe Zuversicht bewirkt Erstaunliches an den massiven steinernen Wänden, nehmen der Burg die Schwere, aber nicht das Gewicht. Moderne Kunst vermag das zu leisten. In Driburg weiß man das.

Andrea Köhn, Ohne Titel (I,II,III, IV 12/20), Mischtechnik/Leinwand, je 20×100 cm

Noch bis zum 4. Juli geöffnet.

Burg Dringenberg Burgstraße 13 33014 Bad Driburg

Öffnungszeeiten: Mi, Sa, Sonn- und Feiertag von 14 – 17:30 Uhr.

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.