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Für 1500 Betriebe der Kulturbranche deutschlandweit gilt immer noch "Alarmstufe rot". So werden auch in Bielefeld bei der zweiten "Night Of Light" wieder Gebäude rot erstrahlen. Foto: Achim Borchers

Einiges tut sich in der regionalen Kulturlandschaft. Über ein paar der Angebote, die in der letzten Woche über die Interessierten hereingebrochen sind, gibt es hier ein paar Gedanken – und klar ist: es ist noch nicht alles gut so, wie man es sich mit Durchhaltewillen und Improvisationskunst zurechtgelegt hat.

Ein mediterranes Kölsch

Ein Stück weit weg von Lippstadt liegt etwas versteckt ein Kleinod der Naherholung, das viel Platz für Aufführungen bietet. In der Burgruine Lipperode, die er sich für die Zeit der “musik für flaneure” von einem ortsansässigen Künstler hat “möblieren” lassen, ist der rührige Lippstädter Akteur Dirk Raulf mit dem Quartett “Deep Schrott” selbst aufgetreten und hat zuletzt seine Kölner Kollegen der PICCOLA BANDA METAFISICA dem geneigten Publikum vorgestellt. Klarinettistin Annette Maye, Trompeter Udo Moll, Carl Ludwig Hübsch an Tuba,
Dirk Peter Kölsch, Schlagwerk – schillernde Figuren der improvisierenden Szene spielen jetzt Walzer, Polka, lateinamerikanisches Revolutionslied, Musik für alte Leute? Doch auch mancher wohldosierte Ausbruch ins Atonale und markante rhythmische Querschläger kommen vor in der heiteren mediterranen Mischpoke.

kleine Band vor Ruinenkulisse, aufgeräumt
Die Burgruine Lipperode als Schauplatz sonntäglicher Konzerte “für Flaneure” Foto: Rainer Schmidt
Das Kulturhaus will was

Einmal im Jahr ruft der Liegenschaftsbetrieb NRW im Bielefelder Kulturamt an: “Frau Brand, möchten Sie, dass wir dem Kulturhaus kündigen?”. Die sagt nein und arbeitet weiter an Anträgen und Konzeptpapieren. So berichtete Kulturamtsleiterin Brigitte Brand in der Fragerunde der Podiumsdiskussion am ehemaligen Laborgebäude der FH im Bielefelder Osten, wo 120 Kunstschaffende ihren Aktionsraum gefunden haben. Damit ist für diese überraschend der Bestand der Ateliers bis ins Jahr 2022 gesichert. Dennoch ist eine Planungssicherheit, die die Einwerbung von Fördermitteln für wichtige Investitionen ermöglichte, nicht gegeben. Wie man das Kulturhaus effektiv als Treffpunkt im städtischen Kulturleben verankert und Politik und Verwaltung als essentiellen Standortfaktor schmackhaft macht, das war Gegenstand des Podiumsgesprächs (aufgezeichnet vom Kanal21, für facebook-Benutzer anzusehen – ab Min. 45 geht es los) und vorangegangener Workshops. Dies gehört zur Auszeichnung als „CREATIVE.Space“ durch das Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft “CREATIVE.NRW”, welche das Kulturhaus bereits 2019 errang.

Auf dem Podium für den Ostblock: Marvin Krühler, Sascha Kullak, Caroline Uhlig, Jana Duda, Lisa Brockerhoff
Heimatgefühle

Der „Klingende Stadtspaziergang“ des Trio TATUNTAT an verschiedenen Orten hat anscheinend etwas ausgelöst. Interessiert und hilfsbereit begegnen die Bewohner der verwinkelten Innenstadt von Enger den umherirrenden Angereisten, die den Schauplatz der Bühnenperformance suchen. Schließlich wird man wegen Abkühlung und leichtem Regen vom Freien in die Heimstatt des Heimatvereins, das Gerbereimuseum, verwiesen, wo Anna Bella Eschengerd inmitten Ihrer Ausstellung ihren Heimatbegriff erläuterte und zusammen mit Willem Schulz und Marcus Beuter eine klangvolle Performance auf die Bretter brachte. Fotografin und temporäre Stadtschreiberin ließen es sich anderswo gut gehen, so dass das an uns hängenbleibt. Eine landesweite Veranstaltungsreihe des Westfälischen Literaturbüro in Unna e.V., die wir weiter im Auge behalten werden.

Im Heimatverein: Willem Schulz und Anna Bella Eschengerd von Trio TATUNTAT. Foto: Rainer Schmidt
Same procedure as last year…

Auch wenn man als Kulturschaffende herrlich flexibel agieren kann und im öffentlichen Raum mehr darf als früher, ist die Krise noch lang nicht ausgestanden, besser gesagt: eine Pleitewelle in der Kulturwirtschaft muss weiterhin befürchtet werden, da manche Branchenakteure einfach nicht ins Freie ausweichen konnten und man für die pandemiekonform klein gehaltene Besuchermenge keine große PA braucht.
Doch der Lautsprecher des Aktionsbündnisses “Alarmstufe Rot” war in letzter Zeit merkwürdig still, was sich auch daran zeigt, dass wir erst gestern vom Unterstützer Willi Teuber (beteiligt bei der Bielefelder Pauluskirche gegenüber dem Studio von willi.tv ) Wind bekamen von der erneuten Ausrichtung der “Night Of Light“. Immerhin 1560 der im letzten Jahr mehr als 8000 Betriebe sind zur Stunde als teilnehmend geführt für die Neuauflage heute Abend. Kommt mal rum, bevor die Lichter ausgehen!

Kunstgenuss satt

Ein pralles Paket aus fünf Ausstellungen hat die Bielefelder Kunsthalle geschnürt und aufs Publikum losgelassen . Jacoba van Heemskerck – KOMPROMISSLOS MODERN stellt das kraftvolle Œuvre einer Künstlerin in den Fokus, die sich durch ihre Hinwendung zur Anthroposophie von anderen Protagonist*innen des Expressionismus unterscheidet. Ergänzend ist aus der ständigen Sammlung eine exquisite Auswahl von Exponaten der bildnerischen Moderne ihrer Wirkungszeit zu sehen.
Erneut strahlt eine Ausstellung durch die Scheiben in den stark frequentierten Kunsthallenpark aus. EIN STUHL, LAMPEN UND EIN MUSEUM bringt Jorge Pardos Installation «Untitled»(2000, die aus einer Reihe skulptural ausformulierter Lampen aus Plexiglas besteht und eine Archivgabe von Konstantin Grcic zusammen. Und Rodins auf Sommerfrische in Basel befindlicher Denker hat in Jeff Wall, wie wir berichteten, einen Zitatpartner und Vertretungsberechtigten gefunden.
Sehr lohnen tut sich der Gang ins Untergeschoss. “Öffentlichkeit/Gegenöffentlichkeit” versammelt Arbeiten des 1954 geborenen amerikanischen Künstlers John Miller. Der mittlerweile in Berlin lebende New Yorker war betroffen von den Anschlägen aufs World Trade Center. Seine Präsentation “Reconstructing a Public Sphere” ist ein virtuoser und subjektiv kommentierter Fotoessay um die Themen Stadtumbau, Kosmopolitismus, Tourismus und Katzenhalterschaft. Die Fotografien wirken, wie im Vorübergehen geschossen, vertreten jedoch wohl komponiert einen appellativen Charakter. Geheimtipp!

Rainer Schmidt

Autor*in: Rainer Schmidt

"Wenn man sich schon Illusionen macht, dann aber auch richtig. Es muss stimmen, wenns auch nur von kurzer Dauer ist." – Django