Der schöne Schreck beim unerwarteten Fallen

Derber Witz: In Aaron Rahes Bild "Corrupt Machine" werden Menschen zu immer fröhlichen Würstchen verarbeitet. Wohl bekomm's! Foto: Ralf Bittner

In der Detmolder Galerie sind Arbeiten des Malers Aaron Rahe zu sehen. Seine expressiv-epischen Bilderwelten der Ausstellung „Falling Sensations“ sind voller derber Späße und Kommentare über eine Welt, die auf dem schmalen Grat zwischen drohender realer Apokalypse und virtueller Idylle schlingert. Und nicht immer ist klar, auf welcher Seite sich Maler und Betrachter befinden.

Wohl jeder kennt das Gefühl des plötzlichen Fallens, das Menschen schreckhaft aus dem Halbschlaf vor dem wirklichen Einschlafen reißen kann. Dieser unkontrollierbare Moment zwischen Wachen und Schlafen, der den Körper für einen Augenblick glauben lässt, dass er sterbe, ist für den Maler Aaron Rahe ein Augenblick von größter Offenheit und Kreativität. „Falling Sensations“ – so der Titel seiner Ausstellung in der Detmolder Galerie Mellies – beschreibt diesen Moment.

Einzelbilder wie “Theoretiker” (l.) und “Nemesis II” (r.) haben comichaften Charakter. Foto: Ralf Bittner

Für den 1986 in Georgsmarienhütte geborenen Künstler, der in Osnabrück und Berlin lebt und arbeitet, ist der nur Sekundenbruchteile andauernde Augenblick Inspiration pur. „Anders als Träume, die sich mit etwas Übung sogar steuern lassen, fühlt man sich in diesen Augenblicken in den absurdesten Situationen wieder, die ja sogar ein Schwindelgefühl als körperliche Reaktion hervorrufen können“, sagt Rahe. Diese Wahrnehmungsfetzen seien nur Ausgangspunkt für die spätere Arbeit mit Farben und Pinseln, Schlaglichter, die seine Landschaften zugleich burlesk, komisch, bedrohlich und apokalyptisch wirken lassen.

Böser Witz und beißende Ironie

Mal irren verlorene Gestalten mit alufarbenen Zwergenspitzhüten durch ein düsteren Tann, der auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Verfallene Hochsitze und ordentlich rechtwinklige Steine säumen den Weg der Menschen, die mit ihren Trolleys von ihren Smartphones in einen Wald geführt werden, den sie gar nicht mehr wahrnehmen. Postkartenblaue Himmel leuchten über gesundem Grün. „Ausweitung der Komfortzone“ nennt er diesen Zyklus. Dass es in dieser Komfortzone nur durch Ausblenden der umgebenden Realität erträglich ist, ist ein Beispiel für den bösen Witz und die beißende Ironie, die seine Bilder durchziehen.

Mit Aaron Rahe und seiner Ausstellung “Falling Sensations” präsentiert Sabine Mellies einen Künstler, der in seinen Bildern expressive Epik, derben Witz und Gesellschaftskritik zu vereinen weiß. Foto: Ralf Bittner

Auf der gegenüberliegenden Wand leuchten die Farben des Himmels in Orange, Lila und Pink. Unter dem bleichen Himmel zieht ein Reiter auf einem vor einen Karren gespannten Pferd einsam seine Bahn. Bis auf einen gläsernen Helm (?) ist er nackt. Smartphone-Skelette und Emoji-Schädel weisen jener seltsamen Mischung aus Brechts Mutter Courage und Mad Max den Weg. Und lächelt da nicht Amazon von den Paketen im Wagen, geladen bis an den höchsten Bord? Rahe zückt sein Smartphone und zeigt einen selbst fotografierten Sonnenuntergang aus dem Osnabrücker Land. „Der Himmel kann wirklich so aussehen“, sagt er schmunzelnd, ähnliche Farben finden sich aber auch in dystopischen Science-Fiction-Filmen. Die Bilder wirken jedenfalls wie epische Erzählungen in Cinemascope, die je näher man den Bildern kommt immer mehr schräge Details erkennbar werden lassen.

Eine Serie von Gouachen im Format 20 x 30 Zentimeter mit dem Titel „Digital Natives“ beschäftigt sich ebenfalls mit Menschen, die sich irgendwie durch analoge und virtuelle Welten manövrieren. Mal versprechen leere Sprechblasen, mal verblichene Nationalwimpel Orientierung. Ein wenig erinnern diese Bilder an Comics, und Rahe verrät, dass er während des Studiums auch Comicartiges gezeichnet habe. In einigen Arbeiten erinnern die Konturstriche noch immer an diese Bildergeschichten.

Die Freiheit des Narren

Langgezogene Katzen, seltsame Wesen zwischen Wurst und Amöbe und vereinsamte Gestalten durchwandern seine Bildwelten, die er mit expressivem Malstil auf die Leinwand bringt. Seine manchmal fast übervollen Bilder, stecken voller Anspielungen, derben Späßen und anarchischem Witz. Hinter ihren fast theatralischen Bildwelten transportieren sie einen Blick auf die Gesellschaft, der das Lachen im Gesicht gefrieren lässt. Wie einst die Narren nimmt sich Rahe die Freiheit, Kritik hinter derbem Witz zu verstecken.

Die Aluhutmännchen sehen den Wald vor lauter Bildschirmen nicht mehr. Foto: Ralf Bittner

Dabei bewegt er sich nicht nur in den Assoziations- und Bilderräumen der Gegenwart, sondern auch in denen der Kunstgeschichte; er hat schließlich in Oldenburg und Berlin Kunst studiert. Wer genau hinschaut, erkennt etwa in „I admire Your Enthusiasm“ Anspielungen auf Dürers Meisterstich „Melancolia I“, und in Sachen Rätselhaftigkeit muss sich Rahes Gemälde nicht hinter dem Stich des Renaissance-Meisters verstecken. Mit diesen manchmal überbordenden, manchmal derben und dabei oft komischen Bildwelten liefert Sabine Mellies die passenden Bilder für die Zeit nach der gerade noch abgewendeten Corona-Apokalypse. Sie geben den Blick frei auf einen wolkenlosen Himmel, dessen Azurblau aber nicht reine Freude auslöst, weil in der wieder erkennbaren, kurz verdrängten Klimakatastrophe die nächste Krise sichtbar wird.
Und trotz alledem: Schmunzeln erlaubt! Und immer schön pfeifen und auf die glänzenden Seiten des Lebens schauen.

Die Ausstellung

Die Ausstellung „Aaron Rahe: Falling Sensations“ in der Galerie Mellies, Waldheidestraße 24, Detmold, ist bis zum 1. August zu sehen. Geöffnet ist nach Vereinbarung per E-Mail an hallo@galerie-mellies.de oder unter Tel. (01 57) 57 32 84 44. Infos auf www.galerie-mellies.de, zum Künstler auf www.aaron-rahe.com.

Autor*in: Ralf Bittner

Ralf steht lieber hinter als vor der Kamera, erkundet seine Welt gern zu Fuß und hat ein Herz für Großartiges in kleinen Locations.