Ende einer Heimkehr

Fremd, verkehrt und verkleidet: Penelope (Christina Huckle) und Odysseus (Evgueniy Alexiev) erkennen sich nicht wieder (Foto: Bettina Stöß)

300 Tage ohne Vorstellung: Mit Sebastian Schwabs Überschreibung des Opernfragments Il ritorno d’Ulisse in patria von Claudio Monteverdi meldet sich das Theater Bielefeld kraftvoll zurück. Das spartenübergreifende Musiktheaterstück “Odysseus’ Heimkehr” unter der Regie von Wolfgang Nägele erkennt besonders in seiner archaischen Klangfärbung den klassischen Mythos und seine bildgebenden Verfahren zur Diagnostik von Menschheitskrankheiten (Hybris, Wahnhaftigkeit, Machtgier, Mordlust) an. Gleichzeitig gibt die starke Inszenierung einer unendlichen Heldenmüdigkeit Raum und stärkt entschieden die Position Penelopes.

Aus ihrer Sicht wird das dramatische Geschehen rund um die Heimkehr Odysseus erzählt, und das ist mehr als eine dramaturgische Finesse, es ist zorniger Ernst. Fast vierzig Jahre nach Christine Brückners ungehaltener Schrift “Wenn du geredet hättest, Desdemona” taucht bei dem jungen Opernerneuerer Sebastian Schwab die Forderung nach einem Paradigmenwechsel mit erbittertem Nachdruck wieder auf.

Nieder mit dem Patriachat!

Mit Christina Huckle steht für diese Forderung in Bielefeld eine Botschafterin nach Maß auf der Bühne. Präsent bis in die blondgefärbten Haarspitzen, stimmstark, charismatisch verleiht die Schauspielerin ihrer Penelope eine geballte Kraft, gegen die Evgueniy Alexiev als Odysseus zwangsläufig verblasst. Denn natürlich ist das zurückgenommene Spiel des bekanntlich brillanten bulgarischen Baritons ausschließlich Mittel und Methode, die Frauenfigur zu stärken und damit die Seelenkräfte des Menschen im härter werdenden Daseinskampf.

Gleiches gilt für Veronika Lee als Telemaco, deren Ausnahmesopran nur stellenweise aufblitzen darf, dann aber mit einer Strahlkraft, die sofort durch und durch geht. Diesen drei Protagonisten sind Nohad Becker, Cornelie Isenbürger, Moon Soo Park, Lorin Wey und Frank Dolphin Wong dazugestellt. Sie verkörpern Penelopes Verehrer, die erst von Odysseus’ tödlichen Pfeilen durchbohrt werden, sich später als unzerstörbar entpuppen. Ein rätselhaftes Spiel auch mit dem Mythos des Amor, auf das eigene Reime gefunden werden müssen.

Die von Gregor Rot musikalisch geleitete, von Franziska Eisele und Anne Christine Oppermann dramaturgisch betreute Opernbearbeitung und das mit deutschen und italienischen Texten von Dagmar Leupold und Francesco Petraca angereicherte Libretto von Giacomo Badoaro trauen dem Publikum derartige Eigenleistungen zu.

Moderne Mythosadaption

Auch ohne dass die bewegende Uraufführung darüber einen Ton verlor, ließ sie doch schmerzhaft an aktuelle Notlagen von Frauen denken und daran, dass weibliches Wohlergehen immer auch ein Gradmesser für gesellschaftliche Zustände ist. Unsere wurden durch den Zweiten Weltkrieg entscheidend verändert, wenngleich sukzessive. Auch daran erinnert “Odysseus’ Heimkehr”.

Denn das Bühnenbild und die Kostüme von Timo Dentler und Okarina Peter siedeln das Geschehen ästhetisch erkennbar in den frühen 50er Jahren an, der Zeit der letzten Kriegsheimkehrer: Clubsessel und Metallrohrstühle, Nierentisch und viel Kristall. In diesem Ambiente Penelope, glimmernd und glitternd in ihrem Etuikleid aus falscher Seide, umringt von der cordsamtigen Kohorte ihrer Freier, unschlüssig, wie sie dem rasenden Heimkehrerkönig begegnen soll, sehr einsam und sehr stark.

Es gab Stimmen beim Hinausgehen, denen das nicht gefiel, wiewohl der Premierenapplaus begeistert ausgefallen war. Zu vertraut und lieb gewonnen das alte Bild der geduldig und liebevoll Wartenden, und ausgeblendet das natürliche Grauen, das Penelope überkommen haben musste angesichts des Massenmords an ihrem Hof.

Sebastian Schwab und mit ihm Wolfgang Nägele aber interessierten sich genau dafür und was die Bilder dieser archaischen Paarkonstellation uns Heutigen über Beziehungsstrukturen und unfriedliche Koexistenz zu erzählen haben.

Es ist ein sowohl vom Schauspielerischen als auch vom Musikalischen hoch aufschlussreicher Abend, der daraus hervorgeht. Eine Art Heimkehr auch er.

Weitere Termine: 04.09., 05.09., 12.09, 17.09., 23.09., 26.09.2021.

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.