Licht in Sicht

Für ein Werk wie die riesige Datenskulptur "Bosphorus" von Rafik Anadol erweist sich die monumentale Salz-Rieselwand des Neuen Gradierwerks im Kurpark Bad Rothenfelde als ideale Projektionsfläche Fotos: Antje Doßmann

Im vergangenen Jahr war pandemiebedingt nach nur 10 Tagen Schluss, nun wird die siebte Auflage der LichtSicht in Bad Rothenfelde wiederholt. Noch bis zum 20. Februar verwandelt sich der Kurpark mit seinen zwei charakteristischen Gradierwerken Abend für Abend  in eine spektakuläre Bühne für zeitgenössische Projektionskunst.

Ein Kurpark im beschaulichen Osnabrücker Land als international begehrter Ausstellungsort – das hat was. Bespielt werden 10. 000 Quadratmeter Projektionsfläche (zum Vergleich: eine normale Kinoleinwand hat 120 qm) mit einer Oberflächenstruktur, die Ihresgleichen sucht. 10 Meter hohe, insgesamt knapp einen Kilometer lange Rieselwände, auf denen Eisen und Salz im Lauf der Zeit rotbraungraue Verkrustungen hinterlassen haben. Dazwischen frische schwarze Dornen, über die die heilkräftige Sole verteilt wird. Ein Salzkristallfall, dessen Prismen bei bestimmtem Lichteinfall funkeln und funkeln.

Dieser organische Hintergrund ist Bestandteil jeder einzelnen Arbeit, die in Bad Rothenfelde gezeigt wird, so abstrakt sie auch sein mag. Der Park als Ganzes ist eine Installation, zusammengesetzt aus den Teilstücken moderner, zeitgenössischer Videoprojektionskunst.

In diesem Jahr gibt es anders als in den Vorjahren kein übergeordnetes Thema. Erkennbar wird in der Auswahl der bewusste Wille, den künstlerischen Nachwuchs auszustellen. Vertreten sind Studierende der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe, der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und der Mucashino Art University Tokio. Generell hat Kurator Michael Bielicky einen Schwerpunkt auf den japanischen Kunst- und Kulturraum gelegt. Es gibt Bezüge zu Manga-Art und Kalligraphie in mehreren Beiträgen.

“Circular Transmigration” heißt der Gruppenbeitrag von Desiree Kabis, Kira Adams, Tanja Meißner, Anna Helsen, Yifan Hu und Christina Vinke. In die mit Licht und Schatten, Positiv und Negativ spielenden Filmsequenzen wird die organische Oberflächenstruktur der Rieselwand, aber auch die klassische Ausstattung einer Kurpromenade (Bank, Laterne) besonders spannend integriert.

Auffällig ist besonders in den studentischen Arbeiten der Trend zu längeren Filmen, fiktionalen und autobiographischen Stilelementen. Von Umweltzerstörung über die Me-too-Debatte, strukturellem Rassismus bis zu expliziter Gewaltdarstellung (mit entsprechenden Trigger-Warnhinweisen) reichen die kritischen Inhalte der Werke. Kunst-Licht wirft eben auch Licht auf Dunkelheiten. Das einst als Biennale gestartete, in Zukunft als Triennale fortgeführte kostenintensive Spektakel, bei dem 38 speziell angefertigte Projektoren, 120 Lautsprecher und 130 Scheinwerfer im Einsatz sind, ist mutig genug, Abgründe der Menschheit zu zeigen, auch wenn in der Stadt natürlich über Werke, die einigen zu verstörend erscheinen, heftig diskutiert wird.

Natalie Bookchins selbsterklärende Installation “the act of changing something’s position” wurde von der Künstlerin eigens für die LichtSicht 7 geschaffen. Am liebsten wäre der US-Amerikanerin, ihr Werk würde so lange in Bad Rothenfelde zu sehen sein, bis Rassismus aus der Gesellschaft verschwunden ist. “I have a dream”…

Mit Julius von Bismarck, der sich mit extremen Naturphänomenen auseinandersetzt  und dem in Hongkong lebenden Australier Jeffrey Shaw, der zusammen mit Sarah Kenderdine die Arbeit “Fall Again, Fall Better” zeigt, sind bei der LichtSicht 7 zudem wieder Kunstschaffende vertreten, die zu den renommiertesten der Gegenwart zählen. Zu Recht ist man in Bad Rothenfelde stolz darauf, und ohne Zweifel ist es mit einem großen Gewinn verbunden, dem von hochklassiger Kunst durchdrungenen Kurpark einen abendlichen Besuch abzustatten. Ein Vorbeiflanieren an den thematisch bisweilen weit auseinanderliegenden Projektionen ist ohne innere Beteiligung kaum möglich. Sicherlich gibt es auch einige Installationen, die rein auf die ästhetische Wirkung abzielen, aber sie befinden sich deutlich in der Unterzahl.

An der Stirnseite des Neuen Gradierwerks befindet sich die interaktive Installation “Eternal Dream- Ewiger Traum”. Ein leichter Sprung in die Höhe befördert Teilnahmelustige ins große Off – zumindest als Datenknäul. Was mit dem virtuellen Alter Ego geschieht, ist ungewiss. So lässt sich die so heiter daherkommende Idee von Simon Weckert und Philipp Weiser vielschichtig lesen, und aus dem ewigen Traum vom Fliegen kann ohne weiteres der Albtraum des Datenmissbrauchs und Identitätsverlusts werden, denkt man die Sache ernst zu Ende.

Die meisten Werke, zu denen von Bismarcks vertikal gespiegelte Projektion “Fire with Fire” zählt und die monumentale Installation von Shaw und Kenderdine, aber auch Refik Anadols “Bosphorus” und Miao Xiaochuns “Gyra Dance”, hinterlassen starke Nachbilder im Kopf. Wütende Waldbrände, unermüdliche Stehauffiguren, ein wogendes Datenmeer und ein in ungeahnte Schwingungen versetzter Buddha – allein über diese vier Impressionen nachzudenken und darüber, was sie über die Welt zu erzählen haben, ist für momentan reizunterflutete Hirne ebenso Anstrengung wie beinahe schon kurtherapeutische Anwendung. Das Einatmen der sprühenden Sole kommt dazu. Es ist – wie der nicht nachdrücklich genug zu empfehlende Parcours der Projektions-Triennale in Bad Rothenfelde – eine Wohltat, die gratis ist.

Projektionszeiten: Sonntag – Donnerstag von 17:30-21:30. Freitag & Samstag 17:30-22:30.

Zu sehen noch bis zum 20.2.2022 (über eine Verlängerung wird nachgedacht)

Zu empfehlen ist eine Führung (8 Euro). 1. Führung: 18:00. 2. Führung: 19:30. Zu buchen unter 2 G-Bedingungen bei der Touristinformation – Haus des Gastes, Am Kurpark 12, 49214 Bad Rothenfelde. Kartenreservierung unter 05424 2218 0.

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.