HOLZ GESTALTEN

Ob unbehandelt oder über dem Feuer geschwärzt - auch wenn man die Rabenknaben zu kennen meint, stehen Klaus Seligers stilisierte Vögel nur für das Tier an sich und allenfalls unser Verhältnis zu ihm - vermenschlicht wird hier rein gar nichts Fotos: Antje Doßmann

Die alte Mühle in Milte bei Warendorf steht heute in einem Industriegebiet und hat keine Flügel mehr. Und dennoch, so, wie sie da aufragt vor knallblauem Himmel, geht noch immer etwas Erzählerisches von ihr aus. Der Künstler, der dort seit 2019 anwesend ist, hat sich, wie man so schön sagt, einen Namen gemacht in Bielefeld und weit über die Stadt hinaus: Klaus Seliger.

Ein veritabler Krachmacher, aber erst seit er sein Herz an die Kettensäge verloren hat. Auf der Suche nach einem Ort, an dem er ungestört (und unstörend) arbeiten kann, ist er in Milte gelandet und will eigentlich auch nicht mehr weg. Was leicht nachzuempfinden ist. Es ist ein guter Ort. Besonders an einem strahlenden Vorfrühlingstag, wenn die Kraniche über die Mühle kreisen und in der Ferne auf den (noch) unverbauten Feldern Rehe zu sehen sind, die Klaus Seliger mit der ihm eigenen Hintergründigkeit Antilopen nennt.

Ein Paar Ohrenschützer, einen Baumstamm und die Kettensäge, manchmal noch ein bisschen Farbe – das ist alles, was er braucht für seine schrägen Möbelskulpturen, Krähenbäume, Holzmenagerien à trois. Geschnitten wird bei ihm aus einem einzigen Stück. Naturnah verfremdet erscheinen Stühle, Tiere und Typen, der Grad der Abstraktion ist besonders bei den kleineren Arbeiten stark. Seit er im Mühlenatelier wohnen und arbeiten kann, eine dazugehörige Halle sein Sägewerk nennen darf und zudem Performances, Konzerte und Ausstellungen in der neuen künstlerischen Heimat veranstaltet, kann der Künstler an manchen Tagen sein Glück selbst noch immer kaum fassen.

Der Genius loci – die alte Mühle und die vielen Kunstobjekte, die jetzt dort versammelt stehen, die Bäume, die vor dem Atelier lagern und auf die Weiterverarbeitung warten – regt dazu an, über Grundsätzliches nachzudenken. Über Holz zum Beispiel und die enge Beziehung, die der Mensch zu diesem Material hat. Schon lange. Schon immer. Ohne die frühe Nutzung von Gehölzen ist die menschliche Kulturgeschichte und Zivilisation nicht denkbar. Bis ins Sprachliche hinein zieht sich die enge Verbindung, am schönsten vielleicht in der Formulierung, jemand sei aus besonderem Holz geschnitzt.

Andererseits – so ambivalent der Mensch, so ambivalent sein Umgang mit dem vielseitigen Rohstoff. Pfahlbauten und Forts schuf er daraus, Bögen und Boote. Holz diente zur Herstellung von Papier ebenso wie zur Fertigung von Galgen. Puppenhäuser und Gewehrkolben entwuchsen aus ihm, und natürlich wurde und wird der regenerative Energieträger endlos verheizt.

Zum Holz als Baustoff jedoch hat sich selbst der Mensch des 21. Jahrhunderts seine Liebe bewahrt, mehr noch: es scheint, dass er es nach Ausreißern in die schöne bunte Plastikwelt der 70er Jahre neu zu schätzen gelernt hat. Holz kann, darf, soll um ihn sein. An Wasser und Land, in Küche und Wohnzimmer, beim Schlafen und Schwitzen. Zum Glück wachsen Bäume nach. Wie es in ihrem Inneren aussieht, weiß man allerdings erst, wenn man sie öffnet. Nicht alles, was der Mensch mit ihnen plant, machen sie widerstandslos mit. Und manche Stämme blenden nur mit ihrem Äußeren, schöne Fassade, fauler Kern.

Künstler, die mit Holz arbeiten wie Klaus Seliger, schätzen (in den meisten Momenten) an dem Material genau das: dass sich die Wesenhaftigkeit ihrer Objekte immer auch ein Stück weit der Undurchsichtigkeit des ausgewählten Stammes verdankt. Weil auch das Leben so ist. Ein bleibendes Mysterium, grundsätzlich nicht vorhersehbar. Wer schöpft, gestaltet ins Offene. Es gäbe immer einen Moment, sagt der Künstler, da wisse er, wann die Krähe, der Hase fertig sei, die er aus dem Holz geschnitten habe wie etwas, das bis dato verborgen lag. Das Ende der Metamorphose sei erreicht, wenn sie unmerklich aufbrechen, sich auf den Weg in die Freiheit machen.

Und das tun sie alle, ausnahmslos, selbst die Möbelskulpturen, die ein Markenzeichen von ihm sind. Hybride Stuhlwesen mit überlangen Beinen, Fluchttiere, Abstraktionen des Vierbeiners. Dann wieder eher theatrale Sitzmöbel, die zum Schauplatz werden, zur Bühne, zur Szenerie. Lehne und Fläche nicht selten besetzt von Vertreterinnen bestimmbarer Arten. Eule und Rotkehlchen und Murmeltier tauchen neben den tonangebenden Krähen und Hasen mitunter auf, von Klaus Seliger zu Tableaus arrangiert, die komplexere Wirkungsweisen besitzen, als zunächst vermutet. Da wohnt ein Eulenvogel zum Beispiel zufällig einer Hasenhochzeit bei und nimmt naturgemäß keinen erkennbaren Anstoß an der Kopulation der beiden Biotopgenossen.

Nur der nicht gleichgültige Mensch, der für gewöhnlich Sexualität zu einem intimen Moment erklärt und den erweiterten Paarungsakt nun als zusätzlicher, übergeordneter Zeuge betrachtet, gerät eventuell in Verlegenheit, fühlt sich wie ein Voyeur. Und kommt auf diese Weise ins Spiel, vermag in der inneren Bewegung vielleicht die Spannung zu spüren, die erzeugt wird aus der gleichzeitigen Ähnlichkeit und Differenz zum Tier. Denn in diesem Feld leben wir. Alle.

Klaus Seliger ist als Künstler gefragt, seine Auftragsbücher sind gefüllt, verschiedene Galerien zeigen seine Werke. Es gibt Sammler. Von den überdimensionierten Möbelskulpturen, mit denen er seine Kettensägearbeit begann, bevor er sich ans Figürliche wagte, sind die meisten in den privaten Besitz übergewechselt. Und wer sehen will, wo und wie seine Arbeiten entstehen, ist nach Voranmeldung in der Milter Mühle herzlich willkommen.

Weitere Informationen unter: www.klausseliger.de

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.