Geschichtsbewusste Landschaft

Veit Mette sitzt in der Ausstellung "es bleibt blurry" einem Pressefotografen Modell. Fotos: Rainer Schmidt

Neue Ausstellungen in Bielefeld und Umgebung. Das lohnt sich/ wie die Frühlingsblüher, blüht nun drinnen in den Museen und Galerien nicht mehr im Verborgenen, was sich angesammelt hat, oder in den letzten Jahren frisch erstellt wurde.

In der weißen Villa im Ravensberger Park konkurriert ein Blumendekor-Kaffeeservice aus den 1970er Jahren mit den umgebenden Scylla-Vasen. Die Ausstellung Design? Design!” versammelt Exponate charakteristischer Gebrauchsartikel-Gestaltung (ein Begriff, auf den in Deutschland noch Wert gelegt wird, beispielsweise bei der Namensgebung des Fachbereichs der Bielefelder FH), aus dem vergangenen Jahrhundert bis heute. Das ist ein Novum: bisher gehörte dieses Interessengebiet nicht in den Fokus des übergeordneten Museum Huelsmann.

Der “50er Jahre”-Raum der Ausstellung DESIGN? DESIGN!

Einige der Beispiele stammen aus der Sammlung, zum Beispiel aus dem Nachlass Wolfgang Tümpels, überwiegend in den 1960er Jahren von dem Bauhauslehrer gestaltete Leuchten, andere wurden unter Regie der neuen Leiterin Dr. Elisabeth Schwarm dazu geliehen oder eigens angeschafft. Chronologisch zu Ensembles aufgebaut, gibt es von klassischen Wilhelm Wagenfeld-Geschirrentwürfen bis hin zu modernem recyclingorientierten Design, wozu etwa der von Jens Behr und Christian Demmer in den Verkehr gebrachte “Statthocker” aus ausgedienten Bielefelder Straßenlaternengläsern zählt, einiges zu sehen.

Bis 31.10.2022; Besichtigungen oder öffentliche Führungen (Mi 27.04.;11.05.; 22.06, So 22.05.; 12.06.) nur mit vorheriger Anmeldung.

https://www.museumhuelsmann.de/de/

Kunst-Grundversorgung im ehemaligen Dorfladen
Zusammenkunft zur Ausstellungseröffnung vor der Galerie Mellies

Wo die Lippische Rose gerade blüht, wissen wir nicht, im Detmolder Stadtteil Heidenoldendorf hält die Galerie Mellies jedoch bemerkenswerte Arbeiten der in Den Haag lebenden Künstlerin Henriette von Münchhausen bereit. Die in der Lockdown-Zeit begonnene Serie “Liquid Marbles” besteht aus Malereien in Acryl und Aquarell, sie stellen Chimären dar, Mischwesen aus Mensch und Tier, oder sogar Pflanzen; das Innen und Außen verkehrt sich ineinander, Starke Emotionen kommen abstrahiert zum Vorschein, da Gesichter nur inkomplett erscheinen. Auffällig ist das feine Spiel mit verwischten und erstaunlich scharfen Konturen in den Aquarellmalereien.

“Wolkige Hängung” und das “düstere Aquarell”: Henriette von Münchhausen, Galerie Mellies
Das gesichtslose Krokodil, ein Fabelwesen von Henriette von Münchhausen, gibt es (andeutungsweise) auch als Skulptur

Bis 7. Mai 2022, Waldheidestraße 24, Detmold

Anmeldung: Sabine Mellies, (01 57) 57 32 84 44

Verstörend und doch auch schön

Ebenfalls im Lockdown des vergangenen Jahres entstanden ist das Kernstück der Ausstellung “es bleibt blurry” des Fotografen Veit Mette. Kulturräume Gütersloh hatte Künstler*innen, die ihrer öffentlichen Aktionsräume beraubt waren, eingeladen, sich ablichten zu lassen und so auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Mette nutzte die Technik der Überlagerten Mehrfachbelichtungen, mit der er bereits vor einigen Jahren mit seiner Reihe “World Out Of Frame” auf den Schrecken der gegenwärtigen Weltordnung aufmerksam machte (zwei dieser Tableaus hängen in der Ausstellung). Auch die unscharfe und dann doch wieder trennscharfe Darstellung der aktuellen Porträts aus sechs Einzelbelichtungen transportiert den Eindruck von Unsicherheit der Protagonist*innen. Zugleich entstehen alterslose, dynamische Darstellungen, etwa der 80jährigen Malerin und Ausdruckstänzerin Irene Müller aus Gütersloh.

Diese Arbeit umfasst weit mehr Aufnahmen als die an den Wänden gezeigten (deren Volumen kommt daher, dass die Vorläuferreihe “BIdifferent” auch noch gut passte). Daher gibt es “Bilderfilme” als Video mit der Musik des Electric Ulmenwall-Kollektivs.

4 x mit, 2 x ohne Maske. Wer hätte wohl den in Bielefeld lebenden iranischen Filmemacher Asad Gholami (r.) erkannt?

Der Künstler wird am 24.04. von 14 -18h anwesend sein, am 15.05. lädt die “Underground”-Galerie des Bunkers zur Finissage, ansonsten zu Veranstaltungszeiten zu besichtigen (auch Bestandteil der “Nachtansichten am 30.04.)

Fast wie Fliegen

Unter den Blütenpflanzen wäre eine aktuelle Ausstellung in den Schauräumen am Kesselbrink der widerständige Löwenzahn. Man muss sich seinen Stadtraum eben erobern, besonders als Fahrradaktivist. Resul Benli, einer von ihnen, zeigt in “Fahrräder, die Geschichte erzählen” ausgewählte Stücke seiner Sammlung historischer Räder. Mehr noch: er inszeniert sie, und hat sie versehen mit Texten, die den Fahrzeugen “eine Stimme geben”, wobei er sich ein bisschen “poetic licence” zugesteht. Man begegnet unter anderem der Vergänglichkeit, dem Hang, sein Vehikel zu personalisieren, oder dem Traum vom Fliegen. Oder, leider auch, der Ukraine. Hier aus Perspektive der deutschen Kriegswirtschaft, als die Dürkoppwerke durch Ausbeutung von Zwangsarbeiterinnen aus dem Osten produzierten und Gewinne erzielten.

Bis zum 27.04., Do – Sa 19 -21 h. (Jederzeit einsehbar. Schauraum und Glaskasten am Telekom-Parkhauskomplex, Kesselbrink Bielefeld)

Rainer Schmidt

Autor*in: Rainer Schmidt

"Wenn man sich schon Illusionen macht, dann aber auch richtig. Es muss stimmen, wenns auch nur von kurzer Dauer ist." – Django