Spass und Nostalgie in ungewohnten Räumen

Literatur und mögliche Ablenkungen. Andreas Merkel hat in der OWL-Arena Aufschlag und erfüllt sich den Jugendtraum, signierte Filzkugeln ins Publikum zu dreschen. Fotos: Rainer Schmidt

“Unendlicher Spaß” – unter diesem Motto steht dieser Komm Mir Nicht Mit Pandemie-Sommer, jedenfalls bei “Wege durch das Land”, dem ostwestfälischen Literatur- und Musikfestival. Ein Beispiel für Kulturangebote, die keine Sommerferien kennen, besonders in dieser Saison.

Schauplatz einer Lesung aus David Foster Wallaces mottospendenden Roman war die OWL-Arena in Halle. Und hattest-Du-es-nicht-geahnt: worüber wurde in der Pause am meisten gesprochen – Tennis! Mag an den von Autor Andreas Merkel vorgetragenen 90er Jahre-Reminiszenzen “Mein Leben als Tennisroman” liegen. Doch da gab es auch noch einen Musikbeitrag, oder? Fast hätte ich mich dazu hinreißen lassen, die Berliner Sängerin Dota Kehr als an der arriviert festivaltypischen Zielgruppe vorbei gebucht zu charakterisieren , da “von der Jugend” als Alternative zu Fließbandpop und Deutschrock-Establishment wahrgenommen. Doch tatsächlich ist es schon 19 Jahre her, dass ich sie unter unwesentlich jüngerem Konzertpublikum für mich entdeckte. Albrecht Simons von Bockum Dolffs hatte in seiner Begrüßungsrede ähnliches berichtet. Dota, von der Liedersängerkunst Brasiliens beeinflusst und mit herausragenden Gespür für Poesie im Alltagswahn und Fallstricke zeitgeistiger politischer Befindlichkeiten textend, hat gerade mit “Wir rufen Dich, Galaktika” ein beachtenswertes Album vorgelegt.

Kein Teil einer Jugendbewegung mehr

“Ein Literaturfest – da wird gesiezt, oder?” so sinnierte die Sängerin in entwaffnender Herzlichkeit, und blieb dann beim “Du”. DOTA, ihr Vorname steht auch für die Band, teil-identisch mit der zuvor “die Stadtpiraten” genannten Begleitgruppe. Und hier kommt auch Jan Rohrbach ins Spiel, mit dem (ja, da gab es einen Krankheitsfall in der Band) Dota aus Berlin nach Halle angereist kam. Dieser ist mit seinem E-Gitarrenspiel, das sowohl kräftig als auch filigran kennt, ein aus Duokonzerten bewährter Begleiter.

Einer Apokalypse kann eine Dota durchaus ins Auge sehen, findet aber auch positives. Denn sie habe Schwangere Frauen im Baumarkt gesehen und in eine ihrer Liedminiaturen verewigt. In einem anderen Lied besingt die erst kürzlich zur Nutzung “sozialen Medien” genötigte und einigermaßen irritierte Musikerin ein Tastenhandy, von dem solche Gefahren nicht ausgehen können, und schließlich den Knopf, der alle zur Besinnung kommen läßt, auf dass sie sich nicht mehr bekriegen. “Das ist wunderschön,… aber auch nicht wahr…” .

Nonkonformisten achten aufeinander, beziehungsweise darauf, dass man nicht in Vergessenheit gerät. So gibt es von DOTA auch vertonte Texte der Dichterin Mascha Kaleko, welche einen Teil des Programms ausmachten und solchen Anklang fanden, dass die Tonträger binnen Minuten ausverkauft waren, und auch zu einer wohligen Stimmung am ungewohnten Ort beitrugen (es kann sonst sehr eng sein im DOTA-Konzert).

Dota Kehr und Jan Rohrbach 2015 im Bunker
Auftakt in angejahrtem Ballsaal

Im Frühlingserwachen nach Ernster Zeit, versäuert durch Geopolitischen Wahnsinn: wer bei der Eröffnung, abgehalten im Ballsaal der Gütersloher Tanzschule Stüwe-Weissenberg mit dem eigentümlichen “Indie-Swing”-Sound der Wiener Combo “Marina and the Kats” wenig anfangen konnte, wurde anschließend überrascht von der brillanten Aufführung der Literaturauszüge – ergab sich durch die Einbindung der Band doch deutlicher atmosphärischer Mehrwert – Sophie Rois als Vortragende schien es bei einer instrumentalen Überleitung einmal kaum im Sitz zu halten. Die Schauspielerin gestaltete den Vortrag überdies so lebhaft und engagiert, dass man verstand, warum sie vor zwei Jahren als “Artist in Residence” vorgesehen war. Da ist es ein großes Glück, dass man Rois seit diesem Sommer in “A E I O U – das schnelle Alphabet der Liebe” in einer seltenen Filmhauptrolle erleben kann

Zeigen, wieviel Swing der Pop verträgt: Marina and the Kats; Wege durch das Land

In Gütersloh wurden den Anwesenden literarische Ballsaalszenen ausgebreitet, aus Tomasi de Lampedusas “Der Leopard” Vergänglichkeit des Lebens sinniert und im Walzer mit der künftigen Braut an seine und F. Scott Fitzgerald (“Partytime”) . Den Ehrgeiz, noch einen draufzusetzen mit Rainald Goetz’ Versuch, im geraden Rhythmus Literaturkanon und benebelten Hedonismus unter einen Hut zu bringen (“Rave”), mag man Grass und Bockum Dolffs, die dafür selbst die Mikrophone beanspruchten, als lediglich gut gemeint ankreiden – die Band überforderte es zudem, Marina und die Ihren sind dann doch zu sehr Swinger.

Altem Gemäuer neue Nutzung eingepflanzt

Zurück im Komm Mir Nicht Mit Pandemie-Sommer: Jazz hören wollten die Organisatoren an diesem ersten Julisamstagabend im Montagesaal des Bielefelder Stadttheaters, wo zuerst der “Rede an die Architektur ” die Bühne bereitet war. Gehalten durch José Gutierrez Marquez. Der Argentinier ist Professor an der
Bauhaus-Universität Weimar und referierte “Bauen im Bestand” anhand eines Projekts seines Büros Bruno Fioretti Marquez, der inneren Umgestaltung des Wittenberger Schlosses. Der Architekt muss sich bei solch einer Aufgabe mit jahrhundertealten Gestaltungen und Umgestaltungen in den jeweiligen Baustilen auseinandersetzen. Marquez beschreibt es metaphorisch als Lesen eines Palimpsest.

Das Bauwerk hat verschiedene Funktionen gehabt und es wurde viel dran ergänzt. 2017 war es wieder soweit.

Das Team hat bei der Einrichtung für eine Bibliothek einen Kreuzgang als Patio eingebaut, oder wiedererrichtet, so ganz klar ist das akustisch nicht zu verstehen in diesem Saal. Es ist ein der Fertigung von Bauten (für die Theaterbühne) gewidmeter Raum mit imposanter Deckenhöhe und unregelmäßig platzierten Lichteinlässen. (das bewirkt überdies eine flaue Wiedergabe der projizierten Bilder. Die Ansichten der Ausarbeitung sind schön fotografiert, stellen jedoch keine Hilfe zum Ermessen der Raumdimensionen. Marquez, ansonsten ein gewitzter, charmanter Kommentator, springt überdies wie besessen vor und zurück in seinem Bildmaterial, so dass man sich irgendwann fühlt wie ein pirschender Egoshooter im Spiel.

Zu viel Saal für intime Clubmusik

Auch nicht so gut aufgehoben in diesem Raum mit der diffusen Akustik war “Speak Low”, das Trio der Schweizer Sängerin Lucia Cadotsch. Erfrischend ist es, die Sängerin als Ruhepol zu erleben, umtost vom entfesselten Kontrabass Petter Eldhs und sich verdichtenden Zirkularatmungs-Schleifen des Tenorsaxophonisten Otis Sandsjö.

“Speak Low” covert, aus dem Great American Songbook wie aus der Popgeschichte, die Musik lebt dabei von Brüchen in Tempo und Tonalität, voller Anspielungen, welche anmuten, als würden Stücke ineinander morphen.

Sport und Kulturelles sind sauber in gesonderte Behälter zu trennen

Was war das nun mit dem “Unendlichen Spaß”? Konnten die Schauspieler Bjarne Mädel und Tom Schilling.einen Einstieg bereiten in David Foster Wallaces wilden zeitgeistkritischen Rundumschlag ? Oder siegte die Nostalgie anlässlich der verlesenen Würdigung Roger Federers durch den 2008 aus dem Leben geschiedenen Autor?
Kann hier nicht verhandelt werden, da wegen ungeeigneter Kleidung (stilistisch war die kurze Hose schon passend, hatte doch sogar die große Grass Turnschuhe zum Sommerkleid angezogen) und der Aussicht längerer Wartezeit auf den Zug an diesem recht frischen Abend der Rückweg durch das Land vorzeitig angetreten wurde.

Rainer Schmidt

Autor*in: Rainer Schmidt

"Wenn man sich schon Illusionen macht, dann aber auch richtig. Es muss stimmen, wenns auch nur von kurzer Dauer ist." – Django