Residenz für vier Tage

Durchblick in die lippische Landschaft auf Gut Holzhausen. Hier hat man sich bei "Wege durch das Land" noch einmal viel Zeit gegönnt, und den gewohnt lockeren Austausch zwischen Künstlern und Publikum ermöglicht. Fotos: Rainer Schmidt

Einen funkelnden Schlusspunkt gesetzt haben Helene Grass und Albrecht Simons von Bockum Dolffs an die diesjährige Saison von “Wege durch das Land” – es war die letzte von sieben Ausgaben, welche die Schauspielerin und der Dramaturg betreuten.

Unter dem Titel “Friends in Residence” bezogen sie vier Tage lang Quartier auf dem Gut Holzhausen nahe dem lippischen Nieheim und holten dazu eine Vielzahl an Freundinnen und Weggefährten, die in diesen sieben Jahren das Festival mitgeprägt haben auf die Bühne. Darunter: die “Schauspielerinnen und Schauspieler in Residence” der vergangenen Ausgaben Bibiana Beglau, Birgit Minichmayer und Ulrich Noethen.

Diese waren neben ihren Kollegen Meike Droste und Dietrich Hollinderbäumer sowie dem Leitungsgespann beim definitiven Finale am Sonntag auf der Bühne vertreten im eigens fürs Festival einstudierten Programm “Das gewaltige Hokuspokus des Daseins”, komponiert aus Fundstücken von DADA-Lyrik und musikalischen Interventionen durch ein Trio aus der frei improvisierenden Szene: Xu Fengxia, Günter “Baby” Sommer und Bo Wiget. Mutig mutig, angesichts soviel geballter Schauspielkunst, mit welcher das restliche Personal ihre simultanistischen und bruitistischen Gedichte in den mild schummrigen Glanz des ehemaligen Guts-Schafstalls schleuderten.

Kunstform mit Haltung

Dada war bei seiner Geburt im Modernismus des frühen 20. Jahrhunderts eher Haltung, Zeitvertreib und Satire als Kunstform, schließlich heißt es darin “Wer gegen DADA ist, ist Dadaist!”. Ziel war nicht, einen großen Wertekanon zu erzeugen, und so konnten im Programm auch Texte von Ror Wolf, Karl Valentin oder Ernst Jandl ihre zielsicher platzierte Absurdität entfalten. Das Ganze ausnahmsweise ohne Häppchencharakter. Die Aufmerksamkeit des Publikums wurde über eineinhalb Stunden herausgefordert.

Das ist nach dem Austausch von Unflätigkeiten noch mal gut gegangen: “Zur Verbesserung der Kultur” schreiten zwei Herren bei Kurt Schwitters. Meike Droste rezitierte.
Xu Fengxia, Guzheng und Gesang – selbstverständlich dadaistisch.

Nach einigen Besuchen in der Enge von Städten, nahm ich die Möglichkeit wahr, einmal wirklich zum Kern von “Wege durch das Land” vorzudringen, dem interessanten Ort in dörflich geprägter ostwestfälisch-lippischen Landschaft und die weite Anfahrt. “Aha, von dieser Bahnstation aus könnte man den sagenumwobenen Velmerstot erreichen.”, “Oho, die Lipper haben wirklich schöne Radverkehrstrassen.”, “Nein, wenn eine Suchmaschine verkündet, dass ein Dorfimbiss um 17 Uhr öffnet, ist nicht gesichert, dass dieses in den letzten zwei Jahren wirklich geschehen ist.”

Natürlich kommt immer etwas dazwischen an so einem Sonntag, wenn man sich selbst den Berichterstattungsauftrag gegeben hat. So wurde anstelle eines sommerlichen Lustwandelns ein eher kurzes Gastspiel an der Bühnenkante.

Die Aftershow-Party entwickelt sich. Helfende Hand: Bibiana Beglau, die auch “Architektin”, also Impulsgeberin der Champagnerpyramide war

Man hätte die Organisatoren wohl noch naseweis fragen wollen, was sie aus den Jahren ihrer Beteiligung mitnehmen, wie sie die Schwierigkeit des Veranstaltungswesens in den kommenden Jahren einschätzen, und so weiter. Indes waren diese ziemlich beschäftigt, alle Anwesenden unter Champagner zu setzen, und das in Ruhe zu tun, hatten sie sich wahrlich verdient.

Unter der neuen künstlerischen Leitung von Traudl Bünger und Tilman Strasser startet die nächste Saison im Mai 2023 im Kreis Paderborn

Rainer Schmidt

Autor*in: Rainer Schmidt

"Wenn man sich schon Illusionen macht, dann aber auch richtig. Es muss stimmen, wenns auch nur von kurzer Dauer ist." – Django