Die Unfähigkeit zu reden

Pointiert, schlagfertig, um keine Antwort verlegen: die in Wien geborene und lang schon in Berlin lebende Autorin Eva Menasse bei der Vorstellung ihres Romans "Dunkelblum" in der Stadtbibliothek Bielefeld (Foto: Antje Doßmann)

Großer Andrang in der Stadtbibliothek Bielefeld. Auf Einladung der Literarischen Gesellschaft war Eva Menasse zur Vorstellung ihres im vergangenen Jahr erschienenen Romans “Dunkelblum” aus Berlin angereist, und ob es nun eine Vorabvereinbarung mit dem moderierenden Kai Kauffmann gewesen war oder nicht, es ging an diesem Abend ausschließlich um dieses Buch. Und nicht um die aktive Rolle, die Eva Menasse seit einiger Zeit im Richtungsstreit des PEN Berlin und der Kontroverse um Deniz Yücel spielt.

Für diesen Nebenkriegsschauplatz brannte der Schriftstellerin die Präsentation ihres eigenen groß angelegten Werks, das am Genre des historischen Romans orientiert ist und es zugleich kunstvoll unterläuft, verständlicherweise zu sehr unter den Nägeln. Und fast wirkte sie, nachdem sie schwungvoll auf die Lesebühne gesprungen war, von der langen Einführung Kai Kauffmanns ein wenig ausgebremst, zumal der Bielefelder Literaturwissenschaftler ihr seine Kritik an “Dunkelblum” bei dieser Gelegenheit gleich anreichte. Zu zahlreich erschienen ihm die Personen in dem Roman, zu unübersichtlich die verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen.

Es gab also einiges zu parieren von Eva Menasses Seite aus, als sie zu Wort kam, und es zeichnete ihre Souveränität als Autorin von Rang aus, dass sie das ebenso klug wie selbstbewusst machte. So dauerte es zum Glück nicht lange, da lieferten Kauffmann und sie sich einen eleganten intellektuellen Florettfechtkampf, der viele erhellende Lichter warf auf das, was “Dunkelblum” zu einem wichtigen Werk der Gegenwartsliteratur macht.

Das zentrale Thema des Romans ist das Schweigen, über das der sowohl von der Schriftstellerin als auch von dem Germanisten hochgeschätzte Heimito von Doderer einmal gesagt hat: “Schweigen ist nie Leere, sondern bis zum äußersten pralle Latenz.” Latenz, das bedeutet per definitionem, etwas ist da, tritt aber (noch) nicht in Erscheinung. Und genau das ist Dunkelblum, das sind die Ereignisse und das Lebensgefühl in diesem österreichischen Städtchen, das so fiktiv ist wie die Personen, die bei Eva Menasse dort auftreten, aber als jenes Rechnitz dechiffriert werden kann, in dem am 24. und 25. März 1945 vermutlich an die 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter ermordet und in einem bis heute nicht aufgefundenen Massengrab verscharrt wurden.

Was die Autorin an dem historischen Stoff, der dramaturgisch bereits mehrfach bearbeitet wurde, u.a. von Elfriede Jelinek in “Rechnitz (Der Würgeengel)”, so sehr beschäftigt hat, dass sie nach monatelangen Recherchen einen collagenartigen, auf mehreren Zeitebenen spielenden Roman daraus gemacht hat, erklärte sie mit dem Bedürfnis, das Massaker von Rechnitz aus der Singularität zu lösen und vor allem nicht mit historischer Selbstgerechtigkeit auf die damaligen Geschehnisse zu schauen.

Indem sie schreibend ins dunkle Herz der Dunkelblumer Finsternis geht und ihre handelnden Personen in all ihren moralischen Konflikten, inneren Rechtfertigungen etc. seelisch aufblättert, werden aus Tätern und Mitwissern gewöhnliche, an ihren Selbsttäuschungsmanövern als Menschen erkennbare Individuen. Natürlich ist das beunruhigend und auch unbequem, weil es die Frage nach eigenen Blindheiten und Schwächen aufwirft.

Die drei Passagen, die Eva Menasse vorlas, machten zudem einen sprachlichen Kunstgriff der Autorin deutlich, der die makabre Situation der Dunkelblumer und ihr Unfähigkeit, das Schweigen zu brechen, effektvoll unterstrich: Sie lässt sie in einer Art gemütvoll verschwurbeltem Pseudo-Österreichisch reden – auch über die brutale Vertreibung der Juden aus der Stadt. Haarsträubend. Jemand profitiert immer, so lautet ein Fazit des Buches. Dunkelblum ist überall, könnte ein anderes lauten. Zumindest, was die Unfähigkeit zu reden betrifft.

Am Ende der Lesung meldete sich ein Zuhörer, Jahrgang 1929, und berichtete vom eisigen Schweigen in seiner Familie über die Zeit des Nationalsozialismus. Bis heute, das war seiner Stimme anzuhören, schmerzt ihn das. Bis heute. Kai Kauffmanns Feinfühligkeit sei Dank, dass er diese Stellungnahme zum Schlusswort erklärte. Sie war bewegend.

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.