Streifzug mit östlicher Note

Atiya Lax und ihr iranischer Ehemann Mokhtar Aslani gehen im Studio von Kanal21 mit ihrer Gastgeberin Zainab Lax (Harfe) auf Sendung. Fotos: Rainer Schmidt

Schnell, schnell, bevor schon wieder etwas passiert! Raus ans Publikum drängen die Initiativen und Veranstaltergemeinden. Mit nicht weniger als vier Aktionen bepflastert war der Skulpturenpark an der Bielefelder Kunsthalle am vergangenen Wochenende.

Der Kunsthallenpark am Samstagnachmittag, mit “Ministerium der Einsamkeit” und der Ausstellung “Me myself and I”

Zum in den letzten beiden Jahren hochaktuellen Thema “Einsamkeit” hat sich das Oakleaf-Stelzenkollektiv als Künstlerinitiative Gedanken gemacht, ihre Akteure treten mit den Umherwandelnden auf verschiedene Weisen in Kontakt, aus transparenten Käfigen heraus oder um sie herum.

Ein “bubbleonisches” Gewirr

Auf dem Rasen steht ein Gerüst, Bespannt mit großformatigen Fotografien, Stimmen dringen heraus. Die Ausstellung “Me myself and I”. Urheber: Veit Mette, Simone Adams-Weggen und Frieda Wieczorek. Von all dem ablenkend ist ein Bereich gespickt mit Aufstellern: die Ausstellung “Zwischen Erfolg und Verfolgung. Jüdische Stars im deutschen Sport bis und nach 1933”. Das “Ministerium der Einsamkeit” und Veit Mettes Ausstellung, welche Geflüchtete abbildet und ihnen zugleich eine Stimme geben möchte, waren Bestandteil des Projektes “Bubble – Das Geschichtenerzähler-Festival” des Shademakers Carnival Clubs an verschiedenen Orten in der Bielefelder Altstadt. Ganz unterschiedliche Menschen erzählen Geschichten, Märchen und Legenden in unterschiedlichen Sprachen, abgewechselt durch Stelzenlauf, Puppentheater – und viel Musik.

Erzählsingen im Extra
Bubble: Nicolas' gestenreicher Vortragder bretonischen Legende

In der Extra-Bluesbar tritt Combo Libre auf, eine deutsch-französische Band aus Bielefeld. Leadsänger Nicolas Maurel tritt heute auch als Erzähler in Erscheinung. Gestenreich deklamiert er bretonische Legenden rund um “L’Ankou”, den personifizierten Tod, vor dem der echte Bretone keine Angst hat, da er selbstverständlich zum Leben mit dazu gehöre. Den melodiösen Klang der französischen Sprache unterstreicht er in seinem gekonnten Vortrag zusätzlich, indem er seinen Bandkollegen Seb spontan dazu bittet, um am Klavier zu begleiten. Nicolas möchte “Erzählsingen”.

Combo Libre, die abschließend noch einmal die Bühne betreten (oftmals reicht ihnen der Straßenbelag, den sie auch gern barfüßig nutzen) wären ein ganzes Bandporträt wert. Einen ganz eigenen Sound haben die jungen Hippies kreiiert, in dem sich Rock, Jazz und Romamusik neben anderen nahöstlichen Einflüssen die Hand geben. Eine farbenfrohe Dynamik kultiviert das Sextett mit Akkordeon, Gitarre, Cajon, Bass und Nicolas’ Querflöte, die unterstützt wird durch Episoden zarten mehrstimmigen Gesang ohne Instrumentalbegleitung. Als Sängein ist Lola recht neu im Team, entzückt mit sehr natürlicher, warmer Stimme. Dazu hat sie eine beeindruckende Kazootechnik. Gibt’s nicht, sagt ihr? Ihr müsst Euch das anhören! Studioaufnahmen sind aktuell auch endlich in Planung.

Bei der Familienveranstaltung zu ungewohnter Nachmittagsstunde im Extra stach auch Nicolas’ lebendige Moderation heraus. Von der Musik führt er behutsam auf Themen zu, die jeden Menschen bewegen, beispielsweise Europa. Etwas voreilig ist hierbei Bassist Milan, der auch mit der Orientalik-Jazz-Fusionband IO viel in Bielefeld und Umgebung zu hören ist und gleich den Stellenwert von Weltmusik im Schaffen von Combo Libre erwähnt wissen möchte.

Umwälzungen in Politik (und Publikumszuspruch)

In diesem Feld hat die Region noch mehr zu bieten, etwa Zainab Lax. Die Musiktherapeutin und Multi-Instrumentalistin wäre ebenfalls ein eigenes Porträt wert. Als Spross einer musikalischen Familie hat sie sich in eine Vielzahl östlicher Musikstile eingearbeitet. Auf der Studiobühne im Kanal21 stellte sie ihre neuen Loop-Performances vor, die den Ausgangspunkt im Harfenspiel haben, welches sie seit ihrem siebten Lebensjahr praktiziert. Kühl konstruiert sind die Schichtungen, können aber jederzeit eine Abzweigung ins kraftvoll Improvisierte nehmen, bevor der Eindruck von New Age-Musik mit Beats entstehen kann.
Zainab Lax spielt viel mit Menschen mit Fluchterfahrung zusammen und hat in ganz aktueller Mission zwei Wegbegleiter eingeladen: ihre Schwester und Oudspielerin Atiya Lax und deren Ehemann Mokhtar Aslani, aus dem Iran Geflüchteter mit kurdischen Wurzeln, der ein äußerst anrührendes Klagelied in seiner Muttersprache vortrug. Diese Performance war verknüpft mit der Aufforderung zur Solidarität mit den derzeit im Iran für eine weltoffene Gesellschaft protestierenden Menschen.

Der Abend wurde eröffnet vom Frankfurter Ensemble Eliá. Das musikalische Aktionsfeld von Johanna-Leonore Dahlhoff an Querflöte und Quena , Kanunspielerin Eleanna Pitsikaki, Youssef Laktina an der Perkussion und Andrés Rosales, Gitarre umspannt Orient, Okzident und Lateinamerika. Sie stellen mit faszinierend wandelbaren Instrumentalklängen auf traditionellen Rhythmen gewissermaßen eine Belcanto-Variante von “Embryo” dar. Das Konzert war Bestandteil der Kulturkonturen-Reihe, die an der Meisenstraße weit im Osten der Stadt zumeist vor sehr spärlichem Livepublikum stattfindet. Hinzu käme freilich die potentiell millionenfache Zuschauerschaft im Stream, die allerdings über einen externem Dienstleister einen bezahlten Zugang aktivieren muss.

Unter Tage geht schon wieder was

Über mehr Zulauf erfreuen kann sich der Bunker Ulmenwall im Zentrum. Herausragendes Gastspiel der vergangenen Wochen, in denen man endlich auch eine Wiederaufnahme der beliebten Jazzsessions feiern konnte, war der Auftritt des Stammgastes Jan Klare mit der Formation “3000”. Mit “1000” begann die Geschichtsschreibung dieses Projektes des “The Dorf”-Häuptlings, und die Steigerung im Bandnamen spiegelt auch die ungebremst auf ungeahnte Höhepunkte zustrebende improvisierte Klangkunst der Benelux-Szene wider – filigran oder vor Humor und Mut berstend spielten Trompeter Bart Maris, bassist wilbert de Joode, der seit 35 Jahren in Amsterdam wirkende Ausnahmepercussionist Michael Vatcher (noch keine vergleichbar intensive Singende Säge gehört wie bei ihm) und Posaunist Steve Swell aus New Jersey als neuzugang auf und ließen in keinem Moment Zweifel aufkommen, dass sie selbst bei Ausflügen in den Zuschauerraum über irgendein kosmisches Interkom telepathisch miteinander verbunden wären.

Die Kollegen von jazzhalo.be haben ausführlich vom Münsteraner Konzert der Tour berichtet!

Jeden ersten Dienstag im Monat sind auch Laksa (Sebastian Büscher, Matthias Klause, Barney Bürger und Manuel Bürgel) einen Besuch im Bunker wert.
Rainer Schmidt

Autor*in: Rainer Schmidt

"Wenn man sich schon Illusionen macht, dann aber auch richtig. Es muss stimmen, wenns auch nur von kurzer Dauer ist." – Django