Von Elefanten im Raum und schlafenden Hunden

Las vor großem Publikum und erhielt viel positives Feedback: Fatma Aydemir bei der Vorstellung ihres neuen Romans "Dschinns" im Buchladen Eulenspiegel Foto: Antje Doßmann

Es war die erste Lesung nach Ausbruch der Corona-Pandemie und die Aussicht bestand, dass dem Buchladen Eulenspiegel mit der Einladung Fatma Aydemirs gleich eine kleine Sensation gelingen könnte. Schließlich stand die Autorin mit ihrem aktuellen Roman “Dschinns” auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Bekanntlich fiel die Entscheidung dann zwar nicht zugunsten der 1986 in Karlsruhe geborenen Schriftstellerin, Journalistin und Herausgeberin aus, aber das tat dem spannenden Literaturabend mit ihr natürlich keinen Abbruch.

Schon ihr 2017 erschienener Debütroman “Ellbogen” über einen gewaltsam eskalierenden Zwischenfall in der Berliner U-Bahn hatte für viel Beachtung gesorgt. Als Bühnenfassung kam er u.a. auch in Bielefeld zur Aufführung. Als Thema schwang bereits damals eine familiäre Spannung mit, die zwischen der Protagonistin und ihren türkischstämmigen, sich in Deutschland fremd fühlenden Eltern herrschte.

In “Dschinns”, das vom Literaturbetrieb als Familienroman etikettiert wird, spitzen sich die Konfrontationen ebenfalls zu, richten ihr zerstörerisches Potenzial aber nicht nach außen, sondern nach innen, zielen auf den verletzlichen Kern der Familie, ihre strukturellen Fallstricke, Abgründe, Tabus etc.

Ausgehend vom plötzlichen Ableben des Arbeiterpatriarchen Hüseyin, der in seinem Sehnsuchtsort Istanbul einen einsamen Herztod stirbt, zeichnet Fatma Aydemir in “Dschinns” das ebenso kunstvolle wie berührende Porträt einer Familie, die erst auseinanderbrechen muss, um so etwas wie ihre Einheit zu erfahren. Zumindest punktuell, zumindest augenblicklang. Denn für glückliche Enden ist diese klarsichtige Autorin viel zu realistisch.

Ihre Lesung und auch das anschließende Gespräch mit dem Publikum erhellten, was die besondere Güte ihres Romans ausmacht. Neben der glaubhaften und empathischen Zeichnung aller sechs Figuren der Familie Yilmaz und der eigenen Stimme, die sie ihnen verleiht, ist es vor allem Aydemirs kritischer, aber nicht schwarz-weiß-malender Blick auf die deutsche Einwanderungspolitik, der den Roman nicht nur zu einem Familien-, sondern auch zu einem Gesellschaftsroman macht. “Dschinns” regt dazu an, über das Anwerbeabkommen mit all seinen nicht zu Ende gedachten Konsequenzen für türkische Familien zu reflektieren. Und das wurde viel zu lange nicht getan.

Dass der Roman über seine unbestreitbaren tragischen Aspekte hinaus eine humorvolle, auch selbstironische Seite besitzt, machte die Autorin deutlich, als sie eine Stelle aus dem Kapitel las, das der jüngeren der beiden Töchter, Peri, gewidmet war. Sie ist die Aufsteigerin der Familie, macht Abitur und studiert (und hat wie alle Mitglieder ihrer Familie einen geheimen Seelenkummer, ihren ganz persönlichen Dschinn). Von Peri jedenfalls, die vermutlich am meisten mit der Autorin selbst übereinstimmt, wurde in dieser Episode erzählt, wie sie versucht, ihre kaum das Haus verlassende Mutter Emine von den feministischen Theorien Simone de Beauvoirs und Judith Butlers zu überzeugen. Ein großartiger Wortwechsel! Das Publikum klatschte begeistert Beifall. Frauen nickten sich grinsend zu. Sie wussten, wovon Fatma Aydemir sprach.

Fatma Aydemir: “Dschinns”, Hanser, 24 Euro.

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.