Besser was Gescheites gelernt

Autor Ulrich Schmidt bei der Buchvorstellung im Saal SO2. Foto: Rainer Schmidt

Menschen aus Bielefeld, die es in der Welt geschafft haben – das sind mal tolle Nachrichten, ebenso wie Menschen die mal “für Bielefeld” gespielt und in der Wüstenarena gerade ein entscheidendes Tor geschossen haben. Menschen aus der Welt, die in Bielefeld Großes geschaffen haben – kann man drüber reden. Muss aber nicht.

Ulrich Schmidt wunderte sich, wie wenig Hans Perathoner im öffentlichen Bewusstsein der Stadt verankert ist, der Lehrer für Bildhauerei an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule, der neben anderen noch erhaltenen Wandreliefs , Grabmälern und Büsten das Wahrzeichen der Stadt, den “Leineweber” schuf. Der freien Journalist stellte sich der Fleißaufgabe, dem Leben des Künstlers nachzuspüren, mit Fokus auf Werke und Wirkung in dessen Bielefelder Schffensperiode zwischen 1907 und 1913. Dies freilich, nachdem er für Konzeption und Ausstattung einer im Sommer gezeigten Ausstellung des historischen Museums gesorgt hatte. Unsere Besprechung beinhaltet Hintergrundinformationen.

Das Leineweberdenkmal zur Weihnachtszeit am alten Standort, frühe 1950er Jahre. Archivbild: R. Schmidt

Nun ist “Hans Perathoner und die Einführung der Moderne in Bielefeld” im KunstSinn-Verlag erschienen, rechtzeitig (so rechtzeitig, wie es die Unwägbarkeiten einer Buchproduktion derzeit zulassen) zum 150sten Geburtstag des untersuchten Protagonisten. Perathoner wurde am 21. November 1872 im Tiroler Grödnertal geboren, absolvierte in der Heimat eine Lehre als Holzschnitzer. Seine Studienzeit in München fällt in die Zeit der Jahrhundertwende, der Ruf an die neu gegründete Handwerker- und Kunstgewerbeschule ins “verlängerte Jahrhundert”, wie es Schmidt nennt. Man war in der Bielefelder Bürgerschaft mit dem Erreichten zufrieden und ziemlich kunst- und fremdenfeindlich eingestellt, wie der Autor anhand der in Salons und intensiv in Leserbriefspalten der Tageszeitungen ausgeführten Diskurse zu Perathoners im Stadtbild enthüllten Werken ausführlichst darlegt, so etwa der im Buch auch so benannte “Shitstorm” zum Portal-Relief für die Senne-Kapelle. 1913 gestaltete der Bildhauer es mit dem nackten Tod in der Mitte (“eine Verletzung des natürlichen und christlichen Empfindens”). Allein schon die neue preußische Institution der Kunstgewerbeschulen brachte die Mäkeligkeit der ostwestfälischen Reformkritiker auf den Plan: “Auch wir sind voll und ganz der Ansicht, daß die Kunstschule das Proletariat auf dem Gebiete des Kunsthandwerks nur vermehren würde.” Die Schule konnte den Stadtverordneten nur durch einen Kostenteilungsplan schmackhaft gemacht werden.

Shitstorm im Bleisatz

Die Senne-Affäre war nicht die erste Erfahrung Perathoners mit der feindlichen Haltung zu den Freiheiten, die der Bildhauer sich nahm, als er sich zwar an Prinzipien der klassischen Antike hielt, jedoch die Raumaufteilung /bei dargestellten Figuren neu dachte, Klischeees umging und Texturen vom naturalistischen Ideal – wobei die Fachkritik sich stets lobend äußerte. Es war auch nicht die letzte. Auch sein Entwurf im Wettbewerb der von Bodelschwingh’schen Stifung für ein Denkmal ihres Gründers traf nicht den Geschmack der Juroren – nur zweiter Platz, erster nicht vergeben.

Perathoner mochte es egal sein – er war nach Charlottenburg an die dortige Kunstgewerbeschule weitergezogen, konzentrierte sich fortan auf seine Lehrtätigkeit, gab sich theologischen Studien hin und fiel nur mit wenigen Arbeiten im kirchlichen Zusammenhang auf. Vielleicht nicht die besten Voraussetzungen für eine Würdigung dort, wo seine Bildnisse den Volkszorn und den beiden Weltkriege überdauerten.

Ulrich Schmidt, den seine Recherchen zum Buchprojekt statt in heimische und preußische eher in Archive in Österreich führten und der sich auch mit lückenhaftem persönlichen Nachlass konfrontiert sah, kommt zu einem anderen Schluss. Er macht das ewige Spannungsverhältnis zwischen Auftraggebern, Künstlern und den jeweils einem der Pole zugeneigten Rezipienten für die mangelnde öffentliche Anerkennung verantwortlich. Wobei sich Perathoner durch Betonung der handwerklichen Aspekte stark abgrenzte vom “um sich selbst kreisenden Künstler” wie der Autor schon eingangs konstatiert.

Übrigens hat sich nun auch das Bielefelder Stadtarchiv in seinen Publikationen des Themas angenommen.

“Hans Perathoner und die Einführung der Moderne in Bielefeld”, KunstSinn-Verlag Bielefeld, Hardcover 28,00 €

Rainer Schmidt

Autor*in: Rainer Schmidt

"Wenn man sich schon Illusionen macht, dann aber auch richtig. Es muss stimmen, wenns auch nur von kurzer Dauer ist." – Django