Kleine Alphatierkunde Frankreichs

Showdown vor "Marokkanischem Buffet": Pierre Garrod und seine Frau Elisabeth ("Babou"), Vincent, Anna und Claude machen Tabula rasa. Von links nach rechts: Harald Kleine Kracht, Ulrike Kleinehagenbrock, Andreas Thiemann, Barbara Stoll und Peter Krudup von Behren (Foto: Antje Doßmann)

Gut in galligen Zeiten: Galliens garstige Gesellschaftssatiren! Bühnenstücke, bei denen aus gemütlichen Zusammenkünften im engsten Freundes- und Familienkreis im Champagnerglasumdrehen ein genüssliches Hauen und Stechen wird. Bis ganz am Ende sich alle Wangenküsschen geben und wieder Friede, Freude, Crêpe Suzette herrscht. Zumindest in dem 2010 in Paris uraufgeführten Stück “Der Vorname” von Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte, das im Bielefelder Mobilen Theater am Silvesterabend vor ausverkauftem Haus Premiere feierte.

Nach Yasmina Rezas “Bella Figura”, der letzten Inszenierung des 2021 gestorbenen Bielefelder Theatergründers Albrecht Stoll, hat das Ensemble den spätestens durch Sönke Wortmanns Verfilmung von 2018 in Deutschland bekannt gewordenen französischen Bühnenstoff nun in Eigenregie erarbeitet. Herausgekommen ist dabei eine Adaption, die durch den geschliffenen Witz der Dialoge, musikalische Einlagen und das erfrischende, immer mehr in Fahrt kommende Spiel des fünfköpfigen Ensembles besticht.

Vor allem tat das Mobile Theater gut daran, die Farce anders als Wortmann nicht ‘einzudeutschen’, sondern sie im Pariser Intellektuellenmilieu zu belassen. So kamen besonders die feinfiesen Spitzen zwischen den Geschlechtern, die in Frankreich andere Nuancen haben als bei uns, bestens zur Geltung. Und auch die pure Lust am Streiten, die schnell bis zu der Bereitschaft geht, lieber einen Freund zu verlieren, als ein Bonmot herunterzuschlucken.

Denn es ist lustig und darf im eigenen Feldversuch gerne verifiziert (oder natürlich auch falsifiziert) werden: Wenn Franzosen den Begriff “Gewaltfreie Kommunikation” hören, ballen sie sofort die Fäuste. In aller Regel lieben sie das Sticheln, Spotten, Spreizen des Gefieders. Die gezielte Provokation. Dann braucht es manchmal nur einen innerhalb einer an sich eingeschworenen Clique, dem ein Teufelchen auf der Schulter sitzt, und zack: schon gehen sich alle an die Gurgel. Und so geschieht es dann auch in “Der Vorname”.

Um seine Schwester Elisabeth, Schwager Pierre und Freund Claude zu foppen, behauptet der werdende Vater Vincent scheinbar allen Ernstes, er und seine Lebensgefährtin Anna beabsichtigten, ihren Sprössling auf den Namen Adolphe taufen zu lassen. Und als die nicht in sein Spielchen eingeweihte Anna dann wenig später zu der bereits in höhere Wallungen geratenen Abendgesellschaft dazustößt, wird aus Elisabeths “Marrokanischem Buffet” schnell ein buchstäbliches Scherbengericht. Bald geht es auch gar nicht mehr um die lachhafte Namenssache, mit der Vincent eh nur seinen selbstgefälligen Intellektuellen-Schwager ärgern wollte. Sondern um anderes. Um alten Ärger und offene Rechnungen.

Gekämpft wird zunächst Florett und Säbel: En garde! (Pierre zu Vincent): “Du bist der fleischgewordene Beweis dafür, was beim Bildungsauftrag schiefläuft!”Prêtes? (Anna zu Pierre):”Fick dich!” Allez! “Von einem, der seine Kinder Athéna und Adonas genannt hat, lass ich mir gar nichts sagen!” Touché! Das also hält man in Wahrheit voneinander. Endlich kommt Butter bei die Fische, sprich in diesem Fall: Harissa an die Tajine.

Jeder hat jedem etwas an den Kopf zu werfen, gegenseitiger Verrat wird beklagt, groteske Geheimnisse kommen ans Licht, ein längst verjährter Hundemord wird gebeichtet, und ausgerechnet der stille Claude sorgt für den größten Eklat. Für den er von Vincent prompt “die Fresse poliert bekommt”, wie es zu diesem Zeitpunkt des Abends bereits unverblümt heißt. Da liegt der elegante Degen längst schon unter Zaalouk und Couscous begraben, ab neun Uhr wird zurückgesoffen, und eigentlich tut sich jeder nur selber leid. So ist das. In den besten Familien.

Und wie das Ensemble das Ganze spielt, sich auf der Bühne allmählich warmläuft, Fahrt aufnimmt, die Pointen immer treffsicherer setzt – das alles macht diese Inszenierung zu einem subtilen Theaterspaß, der allerdings nicht ganz so tief wie Yasmina Rezas Farcen in menschliche Abgründe schaut. Aber vielleicht ist das im Moment auch nicht die richtige Zeit dafür.

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Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.