Ab kommenden Sonntag werden im Bielefelder Kunstforum Herrmann Stenner Fotokunstwerke von Josef Schulz zu sehen sein, und wer es möglich machen kann, sollte sich “Spectrum” nicht entgehen lassen. Projizieren die über zwei Etagen ausgestellten 50 großformatigen Werke, die erstmals einen Gesamtüberblick über das fotografische Schaffen des Künstlers ermöglichen, doch ein Bild von der im Scheitern begriffenen menschlichen Zivilisation, das so stark ist wie schmerzhaft.
Bei aller Liebe zur Form, zur Farbe, zur Struktur und bei aller fraglosen Magie, die seinen surrealen, überwiegend mit der Plattenkamera aufgenommenen und dann digital bearbeiteten Scans innewohnt, gibt es etwas Alarmierendes noch in den scheinbar harmlosesten Bildern dieses Künstlers. Wer das übersieht, träumt mit offenen Augen. Das Fremde im Vertrauten, heißt die von Christiane Heuwinkel mit untrüglichem Instinkt für aufregende, relevante Kunst impulsierte Werkschau schließlich nicht von ungefähr.

Schulz zeigt uns mit den Mitteln der bearbeitenden Fotokunst was bleibt, wenn der Mensch aus dem Holozän verschwindet: Skulpturale, auf ihre Aussagekraft fokussierte Zweckbauten (“Sachliches”), organisch in der Landschaft schwebende Betonkörper, die auf ihr Wesen hin befragt werden (“Formen”), aufgegebene Grenzübergänge (“Übergang”), die mehr davon erzählen, was Menschen trennt, als es jedes Geschichtsbuch vermag. Geisterhaft leere Häuser (“Poststructure”), Werbetafeln ohne Schrift (“Sign out”). Mit Ausnahmen seiner großartigen Landschaftsaufnahmen der Werkgruppe “Terraform”, denen so viel natürliche Ursprungskraft innewohnt, dass sie sich nur mühsam im künstlichen Rechteck des Bildformats zu halten scheinen, liefert Josef Schulz architektonische, bauhandwerkliche Zeugnisse einer gnadenlos von wirtschaftlicher Prosperität und Mobilität abhängigen Gesellschaft.

Fortwährend bewegt sich der bei Bernd Becher und Thomas Ruff in die Schule des analytischen Sehens und freien konzeptuellen Gestaltens gegangene Künstler in den seit 2001 oft parallel entstandenen Reihen zwischen den Polen Abbild und Bildgebung, Abstraktion und Narration. Und gerade der Übergang erhält bei ihm, der 1966 im heute polnischen Biskupiec (Bischofsburg) als Sohn deutscher Eltern geboren wurde, eine zentrale Bedeutung. Die Anordnung seiner Werke in den großen Sälen und Kabinetten des Stenner-Forums unterstreichen die symbolische Bedeutung des Begriffs zusätzlich.
Mit der erneuten dramatischen Aktualität seiner Grenzstationen-Werkreihe sowie “Sign out” und “Poststructure”, die ein hilflos verlorenes Amerika nach der Finanzkrise zeigen, durch die Covid-19- Krise hatte Josef Schulz bei der Planung nicht rechnen können. Der Blaufilter vor dem Kameraobjektiv und die Künstlichkeit erzeugende Unterbelichtung, mittels der die Tankstellen, Wohnhäuser, Saloons und Läden bei ihm schon damals vollkommen menschenseelenverlassen aussahen, erweisen sich heute als prophetischer Fingerzeig. Kein Stern über Michigan. Trump regiert das Land. Die steil aufragenden, aus der leichten Untersicht fotografierten “Terraform”-Felsen bleiben – solange Trumps Konterfei dort nicht eingemeißelt wird – von dessen Herrschaft unberührt. Natur ist immer Trost. Und Fotokunst, wie sie Josef Schulz nach Bielefeld bringt, ist es auch.
Die Ausstellung wird am Samstag, 22.8.2020 um 19 Uhr eröffnet und geht bis zum 17. Januar 2021. Parallel werden in drei Kabinetten Werke Hermann Stenners gezeigt. Es dürfen sich jeweils 70 Besucher*innen unter den bekannten Corona-Schutzbedingungen gleichzeitig im Haus aufhalten.
Kunstforum Herrmann Stenner Obernstraße 48
Öffnungszeiten: Mi-Fr 14-18
Sa, So und an Feiertagen 11–18 Uhr
Heiligabend und Silvester geschlossen