Mit Vorsicht – zu genießen

Abgesagt oder verschoben – auch im Bunker schon wieder Tagesgeschäft. Durchgezogen vor kleinem aber sehr aufnahmefähigen Publikum wurde der jährliche Auftritt eines Trios mit Alexander von Schlippenbach. Foto: Rainer Schmidt

“Eine Winterreise ist für die einen die Gelegenheit eines Treffens mit liebgewonnenen Freunden und Kollegen, für Andere einer ungemütlichen Fahrt durch die Kälte und schlechtes Wetter. (…)Für manche die Gelegenheit, einem Schaffensprozess beizuwohnen, für andere existentiell wichtig für ihr Wirken…”

Alexander von Schlippenbach im “European JazzLegends”-Konzert. Archivfoto: Rainer Schmidt

Die Worte von Booker Frank Ay begleiteten das Publikum im Bunker Ulmenwall in eine schon wieder selten gewordene Veranstaltung. „Winterreise“ nimmt Bezug auf eine langgehegte Tradition mit alten Bekannten: ein Auftritt des Schlippenbach Trios. Immer im Dezember war der Pianist und Wegbereiter des europäischen Freejazz auf Tour. Doch auch wenn man nicht zur eingeschworenen Gemeinde zählt, konnte man an diesem Abend neue Aspekte kennenlernen, sogleich hörbar anhand eines in dieser Trioumgebung unbekannten Tons vom Blasinstrument. Mit bemerkenswertem Schalldruck erobert der leicht spröde, charaktervoll wandelbare Ton von Rudi Mahalls Bassklarinette den Raum. Der ausufernde Monolog, mit dem er seine Mitspieler in der ersten Gruppenimprovisation hinter sich her zog, zeigte einen Musiker, der lineare Wendungen bevorzugt, anders als sein aus fünf Jahrzehnten gewohnter Vorgänger, der Kraftspieler und Meister der Klangflächen am Saxophon, Evan Parker. Auch Drummer Paul Lovens ist an diesem Trio nicht beteiligt, seinen Platz eingenommen hat der junge norwegische Schlagzeuger Dag Magnus Narvesen, der bereits mit einigen Duo-Zusammenarbeiten mit Alexander von Schlippenbach auf sich aufmerksam machte.

Klangforschung im beseelten Zusammenspiel. Dag Magnus Narvesen ist Schlagzeuger im ´neu aufgelegten Schlippenbach Trio

Den anfänglichen Eindruck eines konventionellen Jazz-Timekeepers konnte Narvesen bald zerstreuen durch sein reaktionsschnelles Spiel und den klangfarbensensiblen, ohne Effekthascherei ausgeführten Umgang mit Klangschalen, Schellen und was auch immer man auf ein Schlagzeugfell legen kann, um interessante Klangnuancen herauszuholen. Von Schlippenbach (Jahrgang 1938), der kompromisslose Exponent des freien Pianospiels, ließ sich vom Moment treiben, sang seine Linien mit, band clusterartige Aufbrüche ein und überraschte mit kontrastierenden Hieben ins Bassregister.

Neben dem Hang zum Echtzeit-Komponieren hat das Trio ausformulierte Ideen und Zitate aus der Jazzgeschichte mit auf die Reise genommen, welche allerdings auf recht spontane Art in den Fluss des Musizierens aufgenommen werden. Zuweilen wird auch eine individuelle Version einer Jazznummer daraus, ein sehr schönes Beispiel war Thelonious Monks „Brilllant Corners“ im ersten Set.

Solche Begeisterung löste die Darbietung bei den reichlich zwei Dutzend ausgehungerten Besuchern aus, die Band musste noch zweimal wieder auf die Bühne. Wobei die Zugabe Nummer zwei nach einer kaum größeren Anzahl an Takten von Rudi Mahall abgeblasen wurde. Dag Narvesen brachte es zur Bemerkung, dass eine Band, welche der Klarinettist anführt, wohl nicht ohne Grund „Die Enttäuschung“ heißt.

Im Oktober 2015 im Gütersloher Theater und verewigt auf der CD Alexander von Schlippenbach – Jazz Now! : Rudi Mahall an der Bassklarinette, Antonio Borghini, Bass. Archivfoto: Rainer Schmidt

Im ausgehenden Jahr plant der Bunker, noch mindestens zwei mal die Tür zu öffnen, zu erleben, am 14.12 für h i l d e, einem der freie Improvisation mit komponierten Elementen gewidmeten Teil des The Dorf & Umland Kollektivs. Es spielen Julia Brüssel an der Violine, Marie Daniels, Stimme, Maria Trautmann, Posaune und Emily Wittbrod am Cello.

Willem Schulz, ebenfalls Komponist und Cellist, liest am 17.12. mit musikalischen Intermezzi aus seiner „Nachkriegsgeschichte“ und stellt die Geschichte um sein Cello vor: Erst angesichts des Todes seines Vaters erfährt Schulz, dass das Cello, auf dem er seit mehr als 50 Jahren spielt, Kriegsbeute ist.

Die jährliche Weihnachtsmatinee war nicht durchzuführen, aus Gründen; eine komödiantische Rocktruppe, die jedes Jahr ohne große Reiseplanung einen Auftritt in einem Club der Stadt hinlegt, die Seltaebs, sind kurz vorm Fest auch noch am Ulmenwall zu Gast.

Rainer Schmidt

Autor*in: Rainer Schmidt

"Wenn man sich schon Illusionen macht, dann aber auch richtig. Es muss stimmen, wenns auch nur von kurzer Dauer ist." – Django