Epos über eine lebendige Heldin

Anne Weber (links) mit Moderatorin Solveig Münstermann in der Stadtbibliothek Bielefeld Foto: Elke Engelhardt
Die Lesung mit der Buchpreisträgerin Anne Weber am Mittwoch, dem 28. Oktober, war eine der letzten Möglichkeiten, vor dem am Montag in Kraft tretenden erneuten Lockdown noch einmal etwas Kulturelles live und nicht nur durch den Bildschirm vermittelt zu erleben.

Anne Weber, die einigen Zuhörenden bereits von ihrem Besuch 2015 anlässlich der Vorstellung ihres Buches “Ahnen” bekannt sein dürfte, hat im Oktober, für sie selbst völlig überraschend, den deutschen Buchpreis für „Annette, ein Heldinnenepos“ gewonnen. Die Heldin des Buches, Anne Beaumanoir, genannt Annette, feierte übrigens kürzlich ihren 97. Geburtstag.

Anne Webers Buch über diese außergewöhnliche Frau, die sich selbst nicht als Heldin sieht, handelt sowohl von dieser idealistischen Kämpferin und ihren uneigennützigen Taten, als auch von politischen Verhältnissen, die nach und nach in Vergessenheit zu geraten drohen.

Widerstand im Widerstand

So liest Anne Weber zunächst eine Szene, in der Anette entgegen der Regeln der Resistance, in der sie sich während des zweiten Weltkriegs engagierte, zwei jüdische Jugendliche rettet. Dabei demonstriert die Lesung noch einmal das Besondere der Form dieses Buches, das eben kein Roman, sondern ein Epos ist. Es ist ein Ton, eine Melodie, die den Inhalt so gut abbildet, dass man Spannung, Flucht und Trauer auch erkennen würde, spräche man die Sprache, in der gelesen wird, nicht.

Nachdem Frankreich befreit und der zweite Weltkrieg beendet ist, studiert Annette Medizin, sie wird Neurophysiologin, heiratet, bekommt zwei Kinder und führt ein bürgerliches Leben. Aber dann beginnt der Algerienkrieg, in dem sie sich als sogenannte “Kofferträgerin” für die algerische Befreiungsfront FLN erneut engagiert.

Ein Kampf für die Gerechtigkeit, der Opfer fordert

Aus diesem Lebensabschnitt ihrer Heldin liest Anne Weber von Annettes Inhaftierung und Verhör. Eine Zeit, in der sie schwere und schwerwiegende Entscheidungen treffen muss. Kraft gibt ihr, dass sie vielleicht nicht im Recht ist, aber doch auf der Seite der Gerechtigkeit steht. Eine Gerechtigkeit, für die ein Kampf geführt wird, bei dem das Ziel die Mittel heiligt. So dass es auch für Annette immer wieder notwendig ist, beide Augen zu schließen, um den einmal eingeschlagenen Weg beherzt weiter zu gehen, ohne sich deshalb als Heldin sehen zu können.

Die Wiederentdeckung des Epos

Wie viele Zweifel es gegeben hat, wie unendlich schwer Annette manche Entscheidungen, (so musste sie ihre Kinder auf der Flucht zurücklassen) gefallen sein dürften, darüber weiß auch die Autorin Anne Weber, die lange Gespräche mit Anne Beaumanoir geführt hat, letztendlich wenig, versucht sich diese gravierenden inneren Konflikte aber für ihr Buch immer wieder vorzustellen.

Neben der historischen Fülle und der besonderen Lebensgeschichte seiner Heldin ist das Außergewöhnliche an diesem zu Recht prämierten Buch die Form des Epos. Wobei diese Frage nach der Form von Solveig Münstermann als Moderatorin des Abends erst spät gestellt wird. Über weite Strecken blieb das Gespräch zwischen der Moderatorin und Anne Weber eher mühsam und stockend. Münstermann hatte zwar gewissenhaft alle möglichen Hintergründe zu Anne Weber und deren Werk recherchiert, ohne jedoch einen Zugang zur Autorin zu finden.

Für die historische Form des Epos habe sie sich entschieden, sagt Anne Weber, weil sie die Fakten und die Lebensgeschichte einer nach wie vor sehr lebendigen Zeitzeugin nicht romanhaft ausschmücken wollte, aber auch kein Interesse daran hatte, eine Biografie zu verfassen. Aus diesem Dilemma entstand die Rückbesinnung auf die Form des Heldenepos, die Möglichkeit, die Geschichte in einen bestimmten Rhythmus zu bringen und die nicht ausgeschmückten Lücken mit Melodie zu füllen. Ein Gedanke, der sie beim Schreiben zentral beschäftigt habe und der sich spürbar auch durch ihr Werk zieht, war die Frage, ob politischer Widerstand mehr von Liebe oder von Hass motiviert werde.

Derzeit ist Anne Weber Stadtschreiberin in Bergen-Enkheim bei Frankfurt. Obwohl sie dort nicht viel Zeit verbringt, hat sie sich ein besonderes Angebot für die Einwohner dieser Stadt ausgedacht. An bestimmten Terminen sind die Bergen-Enkheimer eingeladen, Frau Weber zu besuchen, um ihr ihre Geschichten zu erzählen.

Gespräche, die man sich ähnlich lebendig und aufschlussreich vorstellen kann, wie das Gespräch mit dem interessierten Publikum in der Stadtbibliothek.

Autor*in: Elke Engelhardt

Schreibt mit nicht nachlassender Begeisterung über Bücher. Ganz selten schreibt sie selbst eins.