Die geilste Zeit meines Lebens

BZ:"Unkraut blüht" heißt das 2020 anlässlich des 50-Jährigen Bestehens des Sozialen Zentrums Fla Fla Herford im AJZ-Verlag erschienene Buch. Foto: Ralf Bittner

Das Soziale Zentrum Fla Fla ist wohl eines der ältesten selbstverwalteten Zentren in Deutschland. Mit „Unkraut blüht!“ liegt nun ein 440 Seiten starkes Buch zur Geschichte des Fla Fla vor. Entstanden ist weit mehr als eine reich bebilderte Chronik.

“Das 1970 gegründete Fla Fla war und ist ein Ort für linke Politik, für Kunst und Kultur und ein Freiraum für jugendliche Selbstbestimmung“ heißt es im Klappentext des Buches „Unkraut blüht!“ des „Soziales Zentrums“ Fla Fla. Erschienen ist es noch gegen Ende des Jubiläumsjahres 2020, wegen Corona konnten allerdings weder das Jubiläum gebührend gefeiert noch das Buch wie geplant „live“ vorgestellt werden.

Das reich bebilderte Geschichts- und Geschichtenbuch ist natürlich vor allem eine Chronologie, aber eine Chronologie, die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus jeder Phase der inzwischen ein halbes Jahrhundert währenden Geschichte zu Wort kommen lässt. Ergänzt wird diese Chronik um einen Teil, in dem Diskussions- und Wandlungsprozesse verdeutlicht werden, aber auch immer wiederkehrende Themen von „A“ wie „Autonomie“ über „G“ wie Geschlechterverhältnis und „S“ wie Subkultur bis „Z“ wie Zentren-Vernetzung angesprochen werden.

Mehr als eine Aneinanderreihung von Anekdoten

Vor allem diese Teile des Buches machen es zu mehr als einer anekdotischen Aneinanderreihung von Erzählungen aus verschiedenen Epochen, sondern machen das Werk auch überregional interessant.

Für die, die dabei waren, mag es interessant sein, noch einmal an alle neun Standorte samt Stadtplan erinnert zu werden. Für alle anderen ist es ebenso interessant, wie sich an diesem Wechsel der Standorte auch ein Wechsel der verschiedenen Selbstverständnisse ablesen lässt.

Die Geschichte das Fla Fla ist (natürlich) eng mit dem Aufbruch der 1968er verbunden. Mit im Frühjahr 1970 privat angemieteten Räumen fanden die Jugendlichen, die sich bis dahin auf öffentlichen Plätzen in der Stadt getroffen hatten, eine erste Bleibe. Die Anmietung – und dann auch noch privat! – von Räumen ist schon ungewöhnlich. Andernorts wurden die allerdings oft kurzlebigeren Freiräume oft erkämpft, etwa durch Besetzungen. Auch, dass das Fla Fla trotz Konkurrenz durch kirchliche oder städtische Jugendzentren in einer mittelgroßen Stadt wie Herford immer noch besteht, ist nicht selbstverständlich.

Vom Hippie-Treff zur eigenen Immobilie

Nachgezeichnet wird der große Bogen der Fla-Geschichte vom ersten „Hippie-Treff“, der möglichst ganz ohne Regeln auskommen wollte, über die Entwicklung von Selbstverwaltungsstrukturen wie der Hausversammlung, in der basisdemokratisch alle Entscheidungen getroffen werden, bis zum Konzept des Sozialen Zentrums, das bewusst breitere gesellschaftliche Kreise ansprechen möchte.

Ergebnis dieses Prozesses ist nicht nur der Erwerb einer eigenen Immobilie, Diebrocker Straße 2-4, Ende 2015, sondern auch die Untervermietung einiger Räume an die Falken, den Verein für Interkulturelle Begegnungen, oder die Grüne Jugend. All das sind Zeichen einer strategischen Öffnung hin zur Stadtgesellschaft und raus aus der subkulturellen Nische.

In Bielefeld und der Region dürfte vermutlich der am längsten (von 1981 bis 2006) betriebene Fla Fla-Standort an der Eimter- Bzw. Mindener Straße vielen bis heute ein Begriff sein: die dortige Disco „Seven Inch“ zog zeitweise Gäste aus einem weiten Umkreis an.

Die Frage von Emanzipation und der Rolle von Frauen im Fla zieht sich ebenso durch die Jahrzehnte: vom Frauenvorstand Anfang der 1980er Jahre bis zu heutigen queerfeministischen Debatten. Auch die Frage, wie antikapitalistisch ein Soziales Zentrum im Kapitalismus überhaupt sein könne, taucht immer wieder auf. Gleiches gilt für das Thema der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, das beginnend Mitte der 1980er Jahre mit mehreren Neonazi-Angriffen auf das Haus ein Dauerthema ist; ebenso die Frage der Finanzierung des Zentrums.

Vier Jahre Arbeit, die sich gelohnt haben

Die Idee zum Buch entstand schon 2016. Ursprünglich plante die Redaktionsgruppe ein Buch von rund 200 Seiten. Dass es mit 444 schließlich mehr als doppelt so viele wurden, liegt daran, dass das Kollektiv sich nicht nur auf die Darstellung der Fla Fla-Geschichte beschränkt, sondern Einblicke in fünf Jahrzehnte selbstbestimmter, linker Strukturen gibt und dabei ein Stück Stadtgeschichte dokumentiert, an dem tausende meist junge Menschen teilhatten, sei es als Aktive oder „nur“ als Besucher. Zu den Impulsen, die bis heute über das Fla Fla hinaus wirksam sind, zählt etwa die Gründung der Herforder Grünen oder eine Reihe noch heute bestehender selbstverwalteter Betriebe mit Fla-Wurzeln.

Kurz und knackig fallen die wenigen Grußworte aus: „Die geilste Zeit meines Lebens! Jetzt endlich zum Nachlesen“, schreibt Schauspieler Gustav-Peter Wöhler, der im Fla Fla erste Bühnenerfahrung sammeln konnte. Dem ist wenig hinzuzufügen, außer dass eine zweite Auflage eine deutlich bessere Druckqualität der Fotos verdient hätte.

Das Buch:

Buchgruppe 50 Jahre Fla Fla Herford (Hrsg.): Unkraut blüht! 50 Jahre Fla Fla. Hardcover, 440 Seiten, zahlreiche farbige und SW-Abbildungen, 19,70 Euro, ISBN 978-3-86039-046-7, AJZ-Verlag, Bielefeld. Das Buch ist in allen Herforder Buchhandlungen zu bekommen, dazu in den Bielefelder Buchhandlungen Eulenspiegel, Mondo, Buchtipp und Die Kronenklauer. Außerdem kann es per E-Mail an info@flafla.de bestellt werden.

Autor*in: Ralf Bittner

Ralf steht lieber hinter als vor der Kamera, erkundet seine Welt gern zu Fuß und hat ein Herz für Großartiges in kleinen Locations.