Musik sehen – Bilder hören

"Ich sehe was, was du nur hörst"- Die Fotografin Maria Otte und der Musiker Willem Schulz unterhalten sich in "Musik sehen - Bilder hören" stumm über Unsichtbares. Herausgekommen ist dabei ein erstaunlich lebhaftes Buch. (Foto: Rainer Schmidt)

Musik lässt sich nicht fotografieren. Für Töne und Klang gibt es kein konkret bildgebendes Verfahren. Oder doch? Die Fotografin Maria Otte ist der Sache seit langer Zeit künstlerisch auf der Spur. In den ungewöhnlichen Aktionen des Cellisten, Komponisten, Klangkünstlers Willem Schulz fand sie ein ideales Forschungsfeld.

Oft war die Fotografin dabei und drückte auf den Auslöser, wenn der außerordentlich gut vernetzte, in mehreren Ensembles spielende Musiker sich mit seinen Leuten traf, probte, improvisierte, Konzerte gab oder sich auf den Weg machte, um den Geist eines Ortes aufzuspüren und mittels Instrument zur Sprache zu bringen.

Tausende von Bildern sind auf diese Weise mit der Zeit entstanden und erzählen von dem Versuch, das Eigentliche, das Unsichtbare, Flüchtige abzulichten, damit es bleibt. Zum 70. Geburtstag von Willem Schulz ist nun der Band “Musik sehen – Bilder hören” erschienen, der die Arbeit des experimentellen Klangkünstlers mit dem Werk der Fotografin in ein Gespräch treten lässt. Wir haben uns von diesem Prinzip inspirieren lassen und nähern uns dem Buch ebenfalls dialogisch.

Antje: Elke, was ist dein erster Eindruck von dem Buch?

Elke: Ich nehme sofort wahr, dass der Dialog zwischen Otte und Schulz auf einem ganzheitlichen Ansatz beruht, der die unterschiedlichen Bereiche (Musik und Fotografie) in Verbindung treten lässt. Und dass es beiden um die Gestaltung von Räumen geht. Willem Schulz entwickelt daraus die synästhetische Frage: „Was sieht sie [Maria Otte] in meiner Musik – was höre ich in ihren Bildern?“

Antje: Und? Findest du diese Fragen im Buch beantwortet?

Elke: Ja und nein. Beim Lesen der Vorworte wird schnell klar: Das ist eine gute Zusammenarbeit, hier befruchten sich Künstler gegenseitig. Die Frage ist aber: kommt mehr dabei heraus? Ist das Ergebnis etwas, das über die Würdigung einer guten jahrzehntelangen Zusammenarbeit hinaus geht? Springt da ein Funke über auf den Betrachter? Also, wird ein Raum geöffnet, in dem sich die Zuschauer wohl fühlen, umsehen, etwas entdecken können?

Antje: Ich höre da raus, dass es dir nicht bei allen Bildern so geht?

Elke: Ja, das stimmt. Aber es gibt auf der anderen Seite auch vieles, was ich inspirierend finde in Maria Ottes fotografischen Arrangements. Die Art zum Beispiel, wie ihre Bilder immer wieder eigene Melodien spielen und Geschichten erzählen, wenn sie sich auf die Klangwelt des Musikers ganz einlassen. Collagen, Pop Arts, wilde Linien aus Licht, Spiegelungen und Vervielfältigungen. Als Betrachterin spüre ich dann den Anspruch, Zeit und Raum aufzuheben und finde ihn in einigen der Bilder auch eingelöst. Dann schwebt alles, ist durchdrungen von Schwerelosigkeit, so wie Musik. Geht dir das auch so?

Antje: Ja, besonders bei den sehr bewegten Bildern, wo man meint, Willem Schulz unmittelbar durchs Bild laufen zu sehen oder wo das Ganze durch die technische Nachbearbeitung so aussieht, als wäre er mit einer Wärmebildkamera aufgenommen und man den Zusammenhang von Temperatur und Temperament vor Augen geführt bekommt. Auch etwas, das man Aura nennen kann, wenn man den Begriff nicht scheut. Überhaupt scheint mir, dass dieser Fotoband sehr viel über den Menschen und Künstler Willem Schulz aussagt, was für ein Geburtstagsbuch ja auch angemessen ist. Und mir scheint, ohne ihn persönlich zu kennen, dass er bzw. seine Liebe zur Musik im allgemeinen und zum Cello im besonderen und vor allem auch seine Freude an der belebten Natur und seine Demut vor ihr in den Bildern stark zum Ausdruck kommt.

Elke: Was bekommst du gefühlsmäßig noch zu fassen, wenn du die Bilder betrachtest?

Antje: Selbstvertrauen. Stilwille. Mut. Experimentierfreude. Die Fähigkeit zur Begeisterung. Und, besonders stark, eine große Bereitschaft, mit anderen zusammen zu wirken. Doch, doch, je öfter ich die Bilder betrachte, desto deutlicher tritt der Künstler zum Vorschein, wie ich ihn seit langen Jahren auf verschiedenen Bühnen schon erlebt habe.

Elke: An welche Veranstaltungen erinnerst du dich konkret?

Antje: Die erste war ziemlich zu Beginn meiner Arbeit bei der NW, liegt also schon über zehn Jahre zurück. Da trat er mit Marcus Beuter und Anna Bella Eschengerd als Trio “Tatuntat” auf, und ich erinnere mich, sehr fasziniert davon gewesen zu sein, was sich mit einem Cello so alles anstellen lässt. Dann war ich zwei- oder dreimal bei seinem Auferstehungsritual in der Capella Hospitalis dabei (zuletzt online), und auch sein Auftritt im Theaterstück “Väter und Söhne” ist mir noch sehr lebhaft in Erinnerung. Wie selten und wie schön, einen Menschen einmal so liebevoll und dankbar von seinen Eltern reden zu hören! Aber ich glaube, Willem Schulz hat mich am meisten bei der Beerdigung seines Freundes Gerd Lisken beeindruckt. Als er den langen Spielmannszug von der Stiftskirche zum Schildescher Friedhof anführte. Das waren sehr bewegende, magische Momente, in denen ganz deutlich spürbar wurde, dass Musik eine Verbindung herstellen kann. Nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Welten, zwischen Leben und Tod. Das habe ich nie zuvor und nie danach so stark empfunden. Es war eine Feier des Lebens in seiner Fülle. Und Klang spielte eine zentrale Rolle dabei. Viele, die damals dabei gewesen sind, tauchen auch in den Fotografien Maria Ottes auf, nicht zuletzt Gerd Lisken selbst. Insofern ist “Musik sehen – Bilder hören” aus meiner Sicht sehr geglückt.

Elke: Das sind sehr eindringliche Erinnerungen.

Antje: Ja. Es sind die Fotos, die sie hervorrufen. Das Imaginative. Daran können sich meine Erinnerungen anschließen. Deshalb gefällt es mir auch gut, dass die Bilder für sich sprechen und Wortsprache im Buch nur sehr minimalistisch eingesetzt wird.

Elke: Das gefällt mir auch. Es sind ja nur ein paar kurze Gedichte, die über den Band verstreut sind. Man muss sie fast suchen. Barbara Daiber hat sie geschrieben, und ein wenig funktionieren sie als Tür, durch die Leser und Betrachterinnen in die Welt aus Musik und Bild eintreten können. Ganz wichtig ist dabei der Schlüsselbegriff “spielen”.

Antje: Wie ja insgesamt etwas Spielerisches von dem Buch ausgeht. Vielleicht erinnert es mich deshalb tatsächlich an ein Bilderbuch. Ein bisschen weht da ja auch der Geist Astrid Lindgrens durch die Seiten, finde ich: “Ich mache mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.” Oder eher: “Ich betone in der Welt, was mir an ihr gefällt.” Vorstellungen von Leben und Daseinsglück, die nicht von der Stange kommen und wahrscheinlich nicht jedermanns Sache sind. Aber darauf zielt das Buch ja auch nicht ab. Man könnte sogar sagen: Es pfeift darauf. Jedoch ist der Ton, der dabei sichtbar wird, warm und freundlich.

Das Buch kostet 20 Euro und kann per e-mail bei Maria Otte (m.otte@t-online.de) oder Willem Schulz (willemschulz@t-online.de) bestellt werden.

Autor*in: Elke Engelhardt

Schreibt mit nicht nachlassender Begeisterung über Bücher. Ganz selten schreibt sie selbst eins.