Das Theater als Rückverzauberer

Bereit für das Unternehmen Zukunft: Geschäftsführung, Intendanz, Spiel- und Spartenleitung des Theaters Bielefeld bei der Vorstellung des Spielplans 2022/23 (von links nach rechts stehend: Ilona Hannemann, Nadja Loschky, Alexander Kaladjic, Kerstin Tölle, Gianni Cuccaro, Martina Breinlinger und Sarah Deltenre; Michael Heicks und Darius Yazdkhasti per Livestream zugeschaltet) Foto: Antje Doßmann

Aufbruchstimmung am Theater Bielefeld. Der neue Spielplan steht. Auf den ersten Blick auffällig: Kein Goethe, kein Schiller, kein Kleist, kein Shakespare. Statt dessen wurde diesmal modernen Klassikern und Romanadaptionen der Vorzug gegeben. Vielleicht verlangt unsere Zeit danach, nach Don Quijote und Franz Biederkopf und Kapitän Ahab – wir werden sehen.

In der letzten Spielzeit, die Michael Heicks als alleiniger Intendant am Theater Bielefeld tätig ist, bevor er sich die Führungsrolle mit der Opernregisseurin Nadja Loschky teilen wird, war es ihm noch einmal ein besonderes Anliegen, die drei Sparten des Hauses ausgewogen zu präsentieren. Auch das wird im kommenden Spielplan schnell deutlich. “Unser Theater”, sagte er, “wird als sehr geschlossene Einheit wahrgenommen, deren große Qualität darin liegt, dass sich bei uns Schauspiel, Musik und Tanz auf Augenhöhe begegnen.”

“Wir arbeiten für Sie an der Wiederverzauberung der Welt”, so lautet das Spielzeit-Motto dieses Mal, auf das man angesichts der aktuellen Weltlage gespannt sein durfte. Würde das Theater mit dem selbstgewählten Leitmotiv den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine, die noch immer nicht überwundene Corona-Krise oder gar die über allem dräuende Klimakatastrophe programmatisch aufgreifen?

Weit gefehlt. Statt dessen eine Formulierung, die uns bekannt ist aus den Engpässen des mobilen Alltags. Denn natürlich spielt der etwas hemdsärmelige Slogan an auf beschwichtigende Info-Kampagnen an Bahnhöfen und Autobahnen. Tenor der Parole: Leute, regt euch nicht auf, wir kennen das Problem und sind schon dabei, es zu lösen.

Charmant an der theatralen Ummünzung des Baustellen-Bonmots ist, dass Michael Heicks und sein Team etwas in Aussicht stellen, was – anders als eine Autobahnabschnitt oder eine neue Bahnstrecke – keine Eindeutigkeit besitzt: Die Wiederverzauberung der Welt. Verbunden mit dem Begriff der Arbeit, die zu diesem Ziel führt, bringt das Motto auf den Punkt, was Theatermachen grundsätzlich bedeutet: Konkrete Magie.

Und so warten wir gespannt auf das, was auf den städtischen Bühnen kommen wird. Gleich der Schauspiel-Auftakt am 02.09.2022 verspricht mit Cervantes’ “Don Quijote”, gefolgt von der spartenübergreifenden Uraufführung von Alfred Döblins “Berlin Alexanderplatz” am 04.09.2022 zwei Paukenschläge. Und was den Tanz betrifft, der in dieser Saison von der 4-er Gruppe Kerstin Tölle, Gianni Cuccaro, Sarah Deltenre und Alban Pinet geleitet wird, so steht im Mai 2023 anlässlich des 18. Volljährigkeitsgeburtstages der Sparte eine Party ins Haus, die nicht nur ein Wiedersehen mit Gregor Zöllig bedeutet, sondern auch mit Sharon Fridman, dessen fulminantes Stück “Stable” sich tief ins Gedächtnis aller TanzliebhaberInnen geprägt hat.

Auf dem Programm der Spielzeit 2022/23 finden sich darüber hinaus jede Menge neugierig machender Produktionen zeitgenössischer Bühnenkunst und besagte moderne Klassiker: Edward Albees’ “Wer hat Angst vor Virginia Woolf”, Nino Haratischwilis familientaugliches “Löwenherzen”, Yasmina Rezas funkelnde Gesellschaftssatire “Kunst” im Schauspielbereich. Bei der Musik Johann Strauss’ Meisterwerk “Die Fledermaus” und Tschaikowskis lyrische Tragödie “Eugen Onegin” sowie Richard Wagners “Parsival” als Lichtspieloper in der Rudolf-Oetker-Halle. Und Schuberts “Winterreise” – getanzt!

So entschlossen und so beherzt kann die Arbeit an der Welt-Wiederverzauberung, wenn das Schicksal gnädig ist, endlich wieder gut loslegen. Toi, toi, toi!

Das vollständige Programm unter: https://theater-bielefeld.de/

Antje Doßmann

Autor*in: Antje Doßmann

Die Antje...kann über gelungene Kunst-Taten ins Schwärmen geraten, und dann rette sich von ihr aus wer will. Den anderen wünscht sie beim Lesen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.