Konflikt um Schwarz und Weiß in der Fotografie

Diese Doppelseite aus Gian Butturinis London-Buch von 1967 löste bei der Neuauflage eine Debatte um Rassismus in der Fotografie aus. In deren Folge trat Martin Parr, Herausgeber der Neuauflage, als Leiter eines neuen Fotofestivals in Bristol zurück. Foto: Twitter-Screenshot

Die Neuauflage eines London-Bildbandes des italienischen Fotografen Gian Butturini stößt eine Debatte um Rassismus in der englischen Fotografie an, in deren Folge Martin Parr, renommierter Fotograf und Herausgeber der Neuauflage, als Leiter eines Fotofestivals in Bristol zurücktritt.

Ende Juli trat der renommierte Fotograf Martin Parr von seiner Position als künstlerischer Leiter eines neuen Fotofestivals in Bristol zurück. Grund ist ein Rassismus-Streit um die von ihm begleitete Wiederveröffentlichung des ursprünglich 1969 erschienen Fotobuches „London“ des italienischen Fotografen Gian Butturini im Jahr 2017.

Kritisiert wird eine Doppelseite in dem Band. Die zeigt links eine schwarze Frau, die in einer U-Bahn Tickets verkauft, und rechts einen Gorilla in einem Käfig des Londoner Zoos. Hauptkritikpunkt ist, dass die Gegenüberstellung und Gleichstellung von Menschen mit nichtweißer Hautfarbe mit Tieren ein traditionell rassistischer Topos sei, welcher der Abwertung nicht weißer Menschen diene.

Parr, nicht nur ein renommierter Magnum-Fotograf, der sich gerne mit ätzendem Blick der weißen Mittel- und Unterklasse angenommen hat, ist ausgewiesener Fachmann in Sachen Fotogeschichte und Fotobuch, der auch als Herausgeber aktiv ist. Für die Neuauflage 2017 des „London“-Buches“ steuerte er ein Vorwort bei, ohne allerdings auf die kritisierte Doppelseite einzugehen.

Das Layout orentiert sich an der Originalausgabe

Anders als in einigen Twitter-Kommentaren unterstellt, hat er die Doppelseite nicht zusammengestellt, sondern sie fand sich schon in der Erstauflage. Die Unterstellung, die Doppelseite sei ein Werk Parrs, schlich sich in die englischsprachige Debatte ein, weil im Englischen der Editor sowohl der Herausgeber als auch die Person sein kann, die die Bilder im Buch zusammenstellt (editiert). Tatsächlich zeigt der Band die Bilder in der vom Fotografen vorgesehenen Reihenfolge und Zusammenstellung.

Ob der Fotograf heute daran etwas würde, lässt sich nicht mehr klären, denn Butturini ist 2006 verstorben. Butturini war in das London der Swinging Sixties als Grafikdesigner gekommen und entdeckte dort die Fotografie als Medium. Sein mosaikartiges Londonporträt ist das eines Außenseiters, der sich nicht vom Glamour der Stilmetropole, sondern eher von den Menschen am Rande der Gesellschaft angezogen fühlte. Sein Blick galt auch den politischen Stimmungen, die sich etwa in Protesten gegen den Vietnam-Krieg oder den beginnenden Bürgerkrieg in Nordirland äußerten. „London“ ist sozusagen der Ausgangspunkt für Butturinis Arbeit, in der er sich später immer wieder mit den Konflikten seiner Zeit von Chile bis Nordirland auseinandersetzte.

In der Kritik kam die Neuauflage 2017 durchweg positiv an

Das Buch als solches ist also unzweifelhaft wichtig, wenn es darum geht, sich mit Arbeit und Biografie dieses Fotografen in seiner Zeit zu beschäftigen und wurde bei seiner Wiederveröffentlichung von Fachpresse und Feuilleton durchweg positiv aufgenommen. Parr schrieb zwar im Vorwort, dass die Wiederveröffentlichung Anstöße zu Diskussionen geben solle, übersah aber “die rassistische Gegenüberstellung von Bildern“, wofür er sich später entschuldigte.

Der Entschuldigung folgte der Rücktritt von der Leitung eines neuen Foto-Festivals in Bristol. Bristol ist eine der Hochburgen der britischen Black-Lives-Matter-Bewegung. Das neue Festival, das ausgerechnet Diversität sichtbar machen wollte, wäre mit einem derartig belasteten Leiter dort wohl zum Scheitern verurteilt gewesen, weshalb Parrs Rücktritt alternativlos schien. Der Verlag hat die Restauflage des Buches inzwischen aus dem Vertrieb genommen.

Die Kritiker stören sich an dem formalen Kriterium der als rassistisch kritisierten Gegenüberstellung. Von der Bildsprache her sind die Bilder aber so unterschiedlich, dass von Gleichsetzung nur schwerlich die Rede sein kann. Während die Frau aus nächster Nähe aufgenommen wurde, schieben sich zwischen Gorilla und Betrachter unscharfe Gitterstäbe, Nähe hier, Distanz da. Wäre es dem Fotografen tatsächlich um die rassistische Gleichsetzung von schwarzer Frau und Tier gegangen, hätte er vermutlich einheitlichere Ausdrucksmittel gewählt.

Gedacht war die Doppelseite als Provokation, um auf die Zurücksetzung schwarzer Menschen im London der 60er hinzuweisen

Das Perfide an den historischen Parallelsetzungen war ja genau, dass Menschen auf die Ebene von Tieren herabgewürdigt werden sollten, was bis zu den „Völkerschauen“ ging, in denen Menschen wie Tiere im Zoo einem zahlenden Publikum präsentiert wurden. Butturinis Bilder sind zu unterschiedlich, um den Vorwurf einer bewussten rassistischen Gleichsetzung zu stützen. Trotz ihrer formalen Unterschiede transportieren beide Bilder eine Verlorenheit zweier Individuen in einer sie einschränkenden Umgebung. Für Butturini ging es um Ausgrenzung und entfremdete, für Immigranten vorgesehene Arbeit. Er habe einer Gesellschaft, die nur vorgab, Schwarze als gleichberechtigte Bürger zu behandeln, einen provokanten Spiegel vorhalten wollen. Das schrieb er jedenfalls in seinem Originalvorwort.
Weitere Bilder schwarzer Menschen in dem Band zeigen diese wie die Weißen auch in Alltagssituation – im Schatten eines Baumes bei einer Pause, in der U-Bahn oder en passant im Stile klassischer Street-Photography .

Eine der Fragen, die die Debatte um das Buch hätte anstoßen können, wäre sicher die gewesen, warum selbst professionell mit Bildern arbeitende und wie im Fall Parr auch mit der Historie des Mediums bestens vertraute Menschen offensichtlich Momente der Blindheit erleiden, wenn es darum geht, rassistische Stereotype zu erkennen. Möglicherweise hat sich aber auch der Blick verschoben. Vielleicht war das Wahrnehmen schwarzer Menschen im London der 1960er an sich schon eine antirassistische Leistung (schwarze Menschen finden sich den bekannteren Bildern aus dem swingenden London jener Zeit jedenfalls kaum)? Die Debatte um den unzweifelhaft „weißen Blick“ überlagert diese Frage allerdings.

Die Debatte geht weiter, der Blick richtet sich aber nach vorn

Die Nachlassverwalter Butturinis sehen den Fall als Beispiel für eine „Cancel Culture“ und sammeln auf www.gianbutturini.com Geld, um die Restauflage aufkaufen und wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können, was sich im historischen Rückblick vielleicht einmal als genauso legitimer Akt erweisen mag wie die aktuell vorgetragene Kritik.

Beendet ist die Debatte nicht. Auf Twitter wird sie für England unter @LTHdebate weitergeführt, ist aber inzwischen bei aktuellen Fragen angekommen. Denn Tatsache ist, dass in Shows zu aktuellen Themen sowie als Bildautorinnen und Bildautoren „People of Colour“ auch heute noch deutlich unterrepräsentiert sind. Solange die Hautfarbe eines Menschen in einer Gesellschaft eine Rolle spielt, bleibt die Wunde offen. Nicht nur in Großbritannien.

Autor*in: Ralf Bittner

Ralf steht lieber hinter als vor der Kamera, erkundet seine Welt gern zu Fuß und hat ein Herz für Großartiges in kleinen Locations.