Ein Mini-Fotofestival in Herford

Antonia Gruber zeigt im Kiosk24 ihre Installation Bipolarium. Die besteht unter anderem aus der Arbeit „Shoot.Wait.“ sowie aus einem aus 429 einzelnen Polaroids zusammengesetzten Wandmotiv. Foto: Ralf Bittner
Wegen Verschiebungen und Verlängerungen sind Herford aktuell drei – in kürze vier – Fotoausstellungen zu sehen, die einen Ausflug in die Werrestadt lohnen.

Seit Oktober vergangenen Jahres ist im Marta die mehrfach verlängerte Ausstellung „Trügerische Bilder – Ein Spiel mit Malerei und Fotografie“ zu sehen, die sich mit Wahrnehmungsmechanismen im Spannungsfeld zwischen malerischen und fotografischen Techniken befasst. Wie eine thematische Verlängerung dieser Ausstellung in den Stadtraum wirken die Ausstellungen „Wer hat Angst vor Schwarz, Weiß und Grau“ des Fotografen Ralf Bittner in der Treppenhausgalerie und die Installation „Bipolarium“ der Kölner Künstlerin Antonia Gruber im Ausstellungsraum Kiosk 24.

Ab 13. Juni legt das Marta mit „Benjamin Katz. Entdeckungen“ eine vierte Fotoausstellung nach. Die Überschneidungen waren nicht geplant, machen aber Herford aktuell zu einem lohnenden Ausflugsziel für Fotointeressierte.

Das Marta zeigt sieben Positionen zwischen Malerei und Fotografie

Im Marta schaffen sieben Künstler mit Videos, Installationen, Fotografien und Malereien verführerische Bildräume, deren Entstehung und Zuordnung sich nicht auf den ersten Blick offenbaren. Eigene Wahrnehmung und das jeweilige Objekt laden ein zum Dialog um die Frage, wie wahr die Bilder sind und wie viel Wirklichkeit in ihnen steckt.

Anthony McCalls schafft eine begehbare Lichtskulptur aus Rauch und Licht. Foto: Ralf Bittner

James White erhebt fotorealistisch abgemalte Fotos mit einer Inszenierung auf Aluplatte hinter Glas zum objekthaften Gemälde. Anthony McCalls schafft eine begehbare Lichtskulptur aus Rauch und Licht. Fast meditativ wirkt Kelly Richardsons flirrender Baum, der als Videoinstallation in Größe und Erhabenheit an die Fotografien eines Ansel Adams oder Bilder eines Caspar David Friedrich erinnert.
Die italienische Fotografin Vittoria Gerrardi verarbeitet ihre Eindrücke – etwa aus dem Death Valley – in der Dunkelkammer fast völlig losgelöst vom Negativ und schafft zeichnerisch anmutende mit den Mitteln der Fotografie entstandene Bilder.

Vittoria Gerrardis zeichnerisch anmutende Reduktion von Eindrücken mit den Mitteln der Dunkelkammer. Foto: Ralf Bittner
Marta-Direktor Roland Nachtigäller vor Tacita Deans Fotogravüre „Quarantania“, die thematisch den Bogen von biblischen Zeiten bis in die Gegenwart schlägt. Foto: Ralf Bittner

Dirk Braeckman malt nach abfotografierten Schnappschüssen wandgroße Bilder, „Bildfehler“ wie Blitzreflexe inklusive. Tacita Deans grafische Arbeiten erinnern durch die Überlagerung von handschriftlichen Notizen aus Kreide an kinematografische Storyboards. Die großformatige Fotogravüre „Quarantania“ verweist auf die biblische Erzählung über den „Berg der Versuchung“ und auch die Basis, ein alter Albuminabdruck, verleiht dem Werk überzeitliche Tiefe. Radenko Milak verwandelt dagegen Nachrichtenbilder aus den Medien in verdichtete Malerei.

Architektur, die sich un Unschärfe und Grautönen auflöst
Der Herforder Fotograf Ralf Bittner beschäftgt sich in seiner Serie “Wer hat Angst von Schwarz, Weiß und Grau” in der Treppenhausgalerie im Elsbach Haus mit dem Thema Architektur. Foto: Ralf Bittner

Die Erkenntnis, dass Fotografie kein objektives Medium ist, sondern der Fotograf oder die Fotografin durch Belichtung, Brennweite oder Material Bild und Wirklichkeit konstruiert, ist nicht neu. Das zeigt auch die Ausstellung „Wer hat Angst vor Schwarz, Weiß und Grau“ des Herforder Fotokünstlers Ralf Bittner. Diese ist bis Mitte August im dem Marta gegenüberliegenden Treppenhaus des Elsbach-Hauses zu sehen. Die Ausstellung war eigentlich für das Frühjahr des vergangenen Jahres geplant und wird nun nachgeholt.

In seinen Schwarzweiß-Fotografien löst Bittner Stadtarchitekturen in Linien, Winkel, Flächen, Strukturen oder Kontraste und vor allem Unschärfe auf. Mit der Schärfe und den Konturen löst sich in fein definierten Grautönen die Funktion der Gebäude bis in die Abstraktion auf, obwohl sich erahnen lässt, dass es sich meist nicht um Wohngebäude handelt. Die so entstandene Ähnlichkeit urbaner Architekturen kann je nach Standpunkt als eintöniges Allerlei oder als Orientierung in einer globalisierten Welt verstanden werden. Sie entfaltet dabei eine malerische Wirkung, die zugleich an die Architekturphotos eines Hiroshi Sugimoto oder die Unschärfen eines Gerhard Richter erinnert.

Mit der Schärfe und den Konturen löst sich in fein definierten Grautönen die Funktion der Gebäude bis in die Abstraktion auf; Treppenhausgalerie im denkmalgeschützten Elsbach Haus. Foto: Ralf Bittner

„Ich bin wirklich erstaunt, dass Bittner der erste Künstler ist, der in diesem wunderschönen, denkmalgeschützten Industrietreppenhaus eine Arbeit präsentiert, die sich mit dem Thema Architektur auseinandersetzt“, sagt der Herforder Maler Weizenfeld, der seit Anfang 2018 die Ausstellungen in der Treppenhausgalerie kuratiert.

Ein Selbstporträt aus Polaroid-Pixeln

Noch bis zum 10. Juli ist die aus zwei Fotoarbeiten bestehenden Installation „Bipolarium“ der Kölner Künstlerin Antonia Gruber im Kiosk 24, im Herforder Stadtteil Radewig zu sehen. Gruber studierte an der Kölner Alanus Hochschule Kunst und ist wie Bittner Meisterschülerin von Ute Mahler und Ingo Taubhorn an der Ostkreuzschule für Fotografie, kommt aber eigentlich von der Malerei. Sie arbeitet mit verschiedenen Techniken und in verschiedenen Medien. Ihre Themen sind die Visualisierung innerer Konflikte und die physische und psychische Zerbrechlichkeit des Menschen. Deformationen, Abstraktionen, Perspektiv-Wechsel und ein Spiel mit den Größenverhältnissen sind ihre bildnerischen Mittel.

Antonia Gruber zeigt im Kiosk24 ihre Installation Bipolarium. Foto:Ralf Bittner

Im Kiosk 24 bringt sie das Unikat Polaroid und digitale Bildgeneration zusammen. In der Installation „Bipolarium“ sind die Arbeiten „[ˈzɛlpstpɔrtrɛː]“ – Selbstporträt – und „Shoot.Wait.“ zu sehen. Grubers „Selbstporträt“ an der Rückwand besteht aus 429 einzelnen Schwarzweiß-Polaroids, die sich zu einem neuen Bild zusammensetzen, ähnlich wie Pixel zu einem digitalen Bild. „Shoot.Wait.“ ist während der Arbeit am „Selbstporträt“ entstanden. Hier wird das Material selbst zu Form und Inhalt.
In „Selbstporträt“ kommen das analoge Unikat „Polaroid“ und ein komplexer digitaler Prozess zusammen. Mehr als 800 Bilder entstanden als analoge Selbstbildnisse in einem Prozess intensiver Auseinandersetzung mit sich selbst im Atelier. Sie zeigen Körperpartien, bedrohliche Schatten und immer wieder Hände, Hände, Hände – mal in Abwehrhaltung, mal aggressiv nach den Körperteilen greifend. „Diese Bilder habe ich gescannt und in eine Datenbank eingepflegt“, sagt Gruber, „dann suche ich mir ein Motiv, das thematisch zur jeweiligen Ausstellung passt. Ein Programm zerlegt dieses Motiv in Pixel und setzt es aus den Polaroid-Bildern entsprechend ihrer Helligkeitswerte zusammen.“ Dann folgt der fast meditative Prozess, die Bilder an die Wand zu bringen. Der kann je nach Größe der Arbeit Tage und Nächte dauern. Gruber zeigte in vorherigen Ausstellungen bereits aus 494 Einzelbildern bestehende Variationen dieser Arbeit. So ist die Arbeit jedes Mal neu und doch unverkennbar.

Während der Arbeit an „Selbstporträt“ fiel eine Unmenge vom Filmkassetten an. „Nach dem Einlegen in die Kamera kommt ein schwarzes Leerblatt heraus“, sagt sie, „darauf stehen Sprüche wie ´This Film love Light. Shoot somewhere bright’, die an Glückskekssprüche erinnern.“ Mit schwarzer Acrylfarbe übermalte sie Worte oder Sätze. Bei der intensiven Arbeit an Selbstporträt hätten die eigentlich freundlich gemeinten Sprüche fast wie zynische Kommentare aus der Welt jenseits der Ateliermauern gewirkt, die den Schaffensprozess nach jedem achten Bild unterbrochen hätten.

Antonia Gruber zeigt im Kiosk24 ihre Arbeit „Shoot.Wait.“. Dafür nutzte sie die Filmkassetten und Deckblätter der Polaroid-Filme. Foto:Ralf Bittner

Als mit dem Medium Fotografie arbeitende Künstlerin sind Gruber die Überlegungen Walter Benjamins zum „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ bekannt. Während sie mit „Shoot.Wait.“ die Technik und ihre Materialität zum Thema macht, bringt sie im „Selbstporträt“ das Unikat Polaroid und einen komplexen digital-analogen Prozess zusammen, der aus Unikaten neue Bilder schafft, die reproduziert oder variiert werden können.

Spannend zu werden verspricht auch die Ausstellung „Benjamin Katz. Entdeckungen“, die ab 13. Juni, im Marta zu sehen ist. Katz ist bekannt für seine Künstlerporträts. Das Marta kündigt eine Überblicksausstellung mit 200 Fotografien aus einem Privatarchiv mit mehr als einer halben Million Negativen an und ergänzt das „Mini-Foto-Festival“ um eine eher klassische Position.

Ausstellungen, Zeiten, Orte

Marta, Goebenstraße 2-10. Di. bis So. und an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr.
„Trügerische Bilder“, noch bis zum 15. August.
„Benjamin Katz“, 13. Juni bis 3. Oktober.
www.marta-herford.de

Treppenhausgalerie im Elsbach-Haus, Goebenstraße 3-7, Mo. bis Sa. (außer an Feiertagen) von 8 bis 20 Uhr.
„Ralf Bittner, Wer hat Angst vor Schwarz, Weiß und Grau“ (noch bis 15. August)
www.instagram.com/ralfbittnerphoto/

Kiosk 24, Radewiger Straße 24 (bis 10. Juli)
„Antonia Gruber. Bipolarium“
www.kiosk24.org, www.antoniagruber.com, www.instagram.com/gruber_antonia.

Autor*in: Ralf Bittner

Ralf steht lieber hinter als vor der Kamera, erkundet seine Welt gern zu Fuß und hat ein Herz für Großartiges in kleinen Locations.